Überraschender Fund: Tief in unserem Nasenrachenraum versteckt sich eine paarige Speicheldrüse, die bisher in keinem Anatomie-Lehrbuch auftaucht – sie wurde schlicht übersehen. Erst durch eine Bildgebung mit speziellen Biomarkern haben Forscher nun diese Drüsen aufgespürt. Sie sitzen am Ausgang der Eustachischen Röhre und bestehen ähnlich wie die schon bekannten Speicheldrüsen aus Drüsengewebe, das von Gängen durchzogen ist.
Eigentlich ist das System unserer Speicheldrüsen bestens bekannt – so dachte man jedenfalls. Demnach besteht es aus rund tausend kleinen, im Mund- und Rachenraum verteilten Drüsen sowie drei großen, paarigen Hauptdrüsen. Ein Paar davon sitzt unter der Zunge, eines auf beiden Seiten des Unterkiefers und ein Drüsenpaar liegt in den Wangen unterhalb des Ohres. Zusammen produzieren diese Speicheldrüsen ein proteinreiches Sekret, das bei der Vorverdauung der Nahrung und der Bekämpfung von Bakterien im Mundraum eine wichtige Rolle spielt.
Zufallsfund im Nasenrachen
Doch wie sich nun zeigt, ist dieses Bild unseres Speichelsystems unvollständig. Denn an der Rückseite des Nasenrachenraums liegt ein weiteres Paar großer Speicheldrüsen, wie nun Matthijs Valstar vom Niederländischen Krebsinstitut in Amsterdam und sein Team entdeckt haben. Aufgespürt haben sie die neuen Speicheldrüsen mithilfe einer speziellen Positronenemissions-Tomografie (PET), mit der normalerweise Biomarker für Prostatakrebs sichtbar gemacht werden.
Doch als sie die PET-Aufnahmen von rund 100 Krebspatienten näher untersuchten, entdeckten die Forscher an der Rückseite des Nasenrachens die klare Signatur einer paarigen, knapp vier Zentimeter langen Drüse. „Soweit wir wussten, sind die einzigen Speichel- oder Schleimdrüsen im Nasenrachen mikroskopisch klein und relativ gleichmäßig in der Schleimhaut verteilt – entsprechend groß war unsere Überraschung“, sagt Valstars Kollege Wouter Vogel.
Ein viertes Paar Speicheldrüsen
Die neuentdeckte Speicheldrüse liegt beiderseits der sogenannten Tubenöffnung – der Stelle, an der die Eustachische Röhre in den Nasenrachenraum mündet. Dort bildet die Rachenschleimhaut einen Wulst, der als Torus tubarius bezeichnet wird. Bislang hielt man dieses Gewebe aber für nicht weiter auffällig. Doch die PET-Aufnahmen und ergänzende Untersuchungen an den Geweben zweier Toter bestätigen, dass es sich um Speicheldrüsen mit Drüsengewebe sowie Ausführgängen handelt.
„Unseres Wissens nach ist das die erste Beschreibung von paarigen, makroskopischen Drüsen an der hinteren Wand des Nasenrachenraums“, konstatieren die Wissenschaftler. Sie haben diese Drüsen Tubarius-Drüsen getauft – nach dem Gewebe um die Öffnung der Eustachischen Röhre. „Unsere Ergebnisse stützen die Identifizierung der Tubarius-Drüsen als neuer anatomischer und funktioneller Einheit im Speicheldrüsensystem“, so Valstar und seine Kollegen.
Neue Drüse, neuer Organteil oder sogar neues Organ?
Nach Ansicht der Forscher handelt es sich damit sogar um ein neues Organ. „Die akzeptierte Definition für ein Organ ist, dass es aus mehr als einem Gewebetyp besteht, eine definierte Form und Struktur besitzt und spezifische Funktionen erfüllt“, erklären sie. Die Bildgebung und die Gewebeanalyse bei den beiden Toten bestätigen zwei dieser drei Parameter. Für die Funktion nehmen die Wissenschaftler an, dass die Drüse der Befeuchtung des Nasenrachens und des Eingangs der Eustachischen Rühre dient.
In jedem Fall müssen nun die anatomischen Lehrbücher und Zeichnungen entsprechend umgeschrieben werden. „Denn egal, ob diese neuen Drüsen als eigenes Organ, große Speicheldrüse oder als Teil des Speichel-Organsystems angesehen werden, sind sie von klinischer Relevanz“, schreiben Valstar und sein Team.
An einer schwer zugänglichen Stelle versteckt
Doch wie konnten diese Drüsen so lange unerkannt bleiben? Die Forscher führen dies auf ihre versteckte Lage und das unauffällige Aussehen zurück: „Die neuentdeckten Tubarius-Drüsen umfassen flache, unter der Schleimhaut liegende Drüsenstrukturen, die an einer schwer zugänglichen Stelle unter der Schädelbasis liegen“, erklären Valstar und sein Team. „Dieses Gebiet ist nur bei einer nasalen Endoskopie zu erkennen.“
Klassische Bildgebungs-Verfahren wie Ultraschall, Computertomografie oder Magnetresonanz-Tomografie zeigen in diese Teil des Nasenrachens zwar Gewebe, nicht aber dessen Feinstruktur. Erst durch die Anlagerung der für Prostata und Speicheldrüsen spezifischen Biomarker und deren Bildgebung im PET ließ sich die Natur dieses Gewebes bestimmen. (Radiotherapy and Oncology, 2020; doi: 10.1016/j.radonc.2020.09.034)
Quelle: The Netherlands Cancer Institute