Gedehnte Zeit: An Depression erkrankte Menschen haben ein anderes Zeitempfinden, dies hat eine Metastudie nun bestätigt. Während sich die Krankheit auf die Wahrnehmung des subjektiven Zeitflusses auswirkt, gibt es beim Schätzen von konkreten Zeitintervallen aber keine Unterschiede, wie die Forscher im Fachmagazin „Journal of Affective Disorders“ berichten. Unklar ist auch, welche Rolle etwa Medikamente oder die Ausprägung der Erkrankung spielen.
Zeit ist relativ, das wusste schon Einstein, als er die Stunden mit einem schönen Mädchen mit dem Sitzen auf der Herdplatte verglich. Wie schnell die Zeit vergeht, hängt dabei natürlich nicht nur von der Situation, sondern auch dem subjektiven Empfinden einer Person ab. Allerdings scheinen depressive Menschen grundsätzlich ein anderes Zeitempfinden zu haben als Gesunde. Darauf deuten Aussagen von Patienten hin, wonach ihnen die Zeit quälend langsam vergeht oder gar stillzustehen scheint. Wie sehr sich dieses Empfinden von Gesunden unterscheidet, wurde bisher jedoch noch nicht genau untersucht.
Metastudie: Wie die Zeit vergeht
In einer Metastudie haben nun die Psychologen Sven Thönes und Daniel Oberfeld-Twistel der Universität Mainz die zu dieser Frage vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen zusammengetragen und ausgewertet. Sie untersuchten die Ergebnisse aus 16 Einzelstudien mit insgesamt 433 depressiven und 485 nicht depressiven Probanden.
Im Mittelpunkt standen zum einen das persönliche Empfinden und Einschätzen des Zeitflusses und zum anderen das Schätzen definierter Zeitintervalle. Bei letzterem werden Probanden beispielsweise gebeten, die Länge eines Films in Minuten anzugeben, fünf Sekunden lang auf eine Taste zu drücken oder die Dauer von zwei unterschiedlich langen Tönen zu unterscheiden.
Zeitfluss vergeht langsamer
Die Studie ergab zweierlei: Einerseits konnten die Forscher bestätigen, dass depressive Personen im Vergleich zu gesunden Probanden tatsächlich das subjektive Empfinden haben, dass die Zeit langsamer vergeht. „Psychiater und Psychologen in Kliniken oder Praxen berichten immer wieder davon, dass depressive Patienten das Gefühl haben, die Zeit schleiche langsam dahin oder vergehe im Zeitlupentempo“, berichtet Oberfeld-Twistel. „Unsere Auswertung kann dies bestätigen.“
Andererseits zeigten sich keine Unterschiede bei der Schätzung konkreter Zeitdauer. Hier führten depressive Probanden die Aufgaben genauso aus wie gesunde, es zeigte sich kein Unterschied. „Offensichtlich ist das subjektive Gefühl, wie die Zeit vergeht, für depressive Menschen etwas anderes als die tatsächliche Schätzung der Dauer eines externen Ereignisses“, fasst Oberfeld-Twistel die Ergebnisse zusammen.
Einfluss verschiedener Faktoren unklar
Als Manko bei der Datenlage empfinden die Forscher, dass einige Aspekte für den Zusammenhang von Depressionen und Zeitwahrnehmung noch nicht hinreichend untersucht worden sind. So ist wenig darüber bekannt, wie sich Antidepressiva oder Psychotherapie auswirken oder ob Patienten mit bipolaren Störungen oder einer klassischen Depression unterschiedlich reagieren.
Auf jeden Fall aber muss in künftigen Studien deutlich zwischen einer subjektiven Beurteilung des Zeitflusses und der Schätzung von präzise definierten Zeitintervallen unterschieden werden, meinen die Forscher.(Journal of Affective Disorders, 2015; doi: 10.1016/j.jad.2014.12.057 )
(Universität Mainz, 12.03.2015 – MAH)