Patentrezept der Natur: In unseren Gelenken gleiten Knorpel fast reibungsfrei aufeinander – besser als bei jedem Maschinenteil. Den Grund für diese sogenannte Superlubrizität haben Forschende nun geklärt. Demnach sorgen geladene Moleküle in der Gelenkflüssigkeit dafür, dass der schmierende Wasserfilm am Knorpel haftet und auch unter Druck nicht verloren geht. Je mehr dieser Moleküle im Gelenk präsent sind und je stärker belastet sie sind, desto glatter ist der reibungsmindernde Flüssigkeitsfilm.
Ob Schaltgetriebe, Motor oder Fahrradnarbe: Wenn sich bewegliche Teile aneinander vorbeibewegen, ist jede Reibung hinderlich. Sie kostet Energie, hemmt die Bewegung und kann zu erhöhtem Verschleiß führen. Ähnlich ist es auch bei unseren Gelenken. In ihnen löst die Natur das Reibungsproblem auf bewundernswert effektive Weise: Die Knorpelschicht sorgt in Verbindung mit der Gelenkflüssigkeit dafür, dass die Reibung extrem gering ausfällt – sie ist um Größenordnungen kleiner als bei beweglichen Teilen einer Maschine.
Die Kombination machts
Aber warum? Und wie schaffen es unsere Gelenke, dass die Reibung selbst unter hoher Belastung so gering bleibt? Das hat nun ein internationales Forschungsteam um Tianyi Han von der chinesischen Tsinghua Universität näher untersucht. Im Zentrum standen dabei Grenzflächeneffekte zwischen dem Gelenksknorpel und der Gelenkflüssigkeit. Sie sorgen dafür, dass die Wassermoleküle dauerhaft an Ort und Stelle bleiben und wie ein schützendes Gleitpolster wirken.
„Die Frage ist, wie es dem Körper gelingt, diesen Flüssigkeitsfilm auch unter Last stabil zu halten – das bezeichnet man als Superlubrizität“, erklärt Koautor Markus Valtiner von der TU Wien. „Die genauen Mechanismen werden seit Jahren heiß diskutiert, aber es gab bisher schon den Verdacht, dass positiv geladene Kationen dabei eine entscheidende Rolle spielen könnten.“ Demnach könnten im Wasser gelöste Ionen als „Bindemittel“ wirken, das die polaren Wassermoleküle an die oft negativ geladenen biologischen Oberflächen koppelt.
Ionendichte und Verteilung bestimmt Wirkung
Ob diese Hypothese der wasserfixierenden positiven Ionen stimmt, haben die Forschenden nun mithilfe eines Experiments und ergänzenden Modellsimulationen überprüft. Dafür verwendeten sie zwei Schichtsilikat-Oberflächen als Knorpelmodell und dreifach positiv geladene, in Wasser gelöste Lanthan-Ionen als Modell für die Gelenkflüssigkeit. Im hochauflösenden Rasterkraftmikroskop konnte das Team beobachten, dass sich die positiv geladenen Lanthan-Atome tatsächlich am Untergrund festsetzten.
Noch wichtiger jedoch: Diese Schicht aus positiven Ionen führte dazu, dass sich auch eine Schicht aus Wassermolekülen an die Flächen anlagerte. Je dichter dabei der Ionenfilm war, desto dicker und gleichmäßiger war auch die assoziierte Wasserschicht. Waren die Lanthan-Ionen dagegen nur spärlich gesät, bildete der Wasserfilm deutliche Buckel und Senken – ähnlich einer mikroskopischen Berg-und-Tal-Landschaft. Modellsimulationen ergaben, dass solche Unebenheiten auf Nanoebene schon ausreichen, um die Reibung im Gelenk deutlich zu erhöhen.
„Dies belegt, dass die Abdeckung der Oberfläche mit Ionen die Rauigkeit der Hydrationsschicht und ihre Reibungseigenschaften bestimmt“, schreiben Han und seine Kollegen. Das Experiment zeigte zudem, dass Belastung sogar dazu beiträgt, die Ionen gleichmäßiger zu verteilen und den Wasserfilm zu glätten.
Auf menschliche Gelenke übertragbar
„Das erklärt, warum es gerade bei Gelenksproblemen wichtig ist, sich regelmäßig zu bewegen: In unbewegten Gelenken wird die Reibung im Lauf der Zeit wieder größer“, sagt Valtiner. Denn die neuen Erkenntnisse sind auch auf unsere Gelenke übertragbar. Dort übernimmt das Lubricin, ein Protein mit vielen angelagerten Zuckermolekülen, die bindende Funktion der im Experiment genutzten Lanthan-Ionen.
„Das ist ein Molekül, das an seinen beiden Enden ebenfalls positiv geladene Stellen aufweist“, erklärt Valtiner. Diese Enden lagern sich am Knorpelgewebe an, während die Mitte des schleifenförmigen Moleküls nach außen gebogen ist und Wassermolekülen als Ansatzstelle dient.
Die Wissenschaftler sehen in ihren Erkenntnissen auch Ansatzpunkte für die Medizin, beispielsweise in der Bekämpfung von Gelenkverschleiß. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die gezielte Nutzung von molekularen Ladungseffekten im Zusammenspiel mit der Wasseranlagerung für Therapiemaßnahmen eine wichtige Rolle spielen können“, sagt Valtiner. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adf3902)
Quelle: Technische Universität Wien