Neurobiologie

Gehirn: Fernkontakte machen uns einzigartig

Eine neue Hirnkarte zeigt, warum der Mensch mehr individuelle Eigenheiten hat als Tiere

Was verleiht jedem von uns sein einzigartiges Wesen? Und wo manifestieren sich diese individuellen Unterschiede? Eine neue Karte des Gehirns gibt darauf erste Hinweise: Die Fernverbindungen in unserem Denkorgan sind es demnach, die von Mensch zu Mensch stark variieren. Sie verknüpfen Areale für unser bewusstes Denken, Entscheiden und Empfinden miteinander – und machen jeden von uns zu einem Unikat, wie ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Neuron“ berichtet. Ihre Karte der Leitungsvarianten erklärt auch, warum Tiere meist weniger individuell reagieren als wir Menschen.

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Dass das Gehirn jedes Menschen ein wenig anders ist, weiß man schon länger. Unterschiedlich sind beispielsweise bestimmte Furchen und Senken, aber auch die Aktivität und Größe einige Areale. Inwieweit aber auch die Signalwege innerhalb unseres Denkorgans unterschiedlich sind, wurde bisher nicht systematisch untersucht. Sophia Müller von der Ludwigs-Maximilians Universität München und ihre Kollegen haben dies nun nachgeholt. Sie unterzogen dafür 23 Probanden einem Hirnscan mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) und wiederholten diese Untersuchung insgesamt fünf Mal innerhalb eines halben Jahres. Dadurch konnten die Wissenschaftler individuelle Unterschiede zwischen den Probanden gut von denen unterscheiden, die bei einer Person im Laufe der Zeit auftreten.

Lokale Verbindungen kaum verschieden, wohl aber die Fernleitungen

In den Hirnscans zeigten sich klare Unterschiede zwischen zwei Arten von Hirnarealen und ihren Verknüpfungen: Die Zentren, in denen eintreffende Sinnesreize registriert werden, wie beispielsweise Sehzentrum oder Hörrinde, und die Bereiche, die für die Steuerung von Bewegungen zuständig sind, sind eng mit benachbarten Arealen vernetzt. Diese vorwiegend lokalen Verknüpfungen aber unterschieden sich kaum zwischen verschiedenen Personen, wie die Forscher berichten.

Anders dagegen bei den Regionen, die für höhere Denkfunktionen, wie die Einordnung und Verarbeitung von Eindrücken, das logische Denken und die bewusste Kontrolle unserer Impulse verantwortlich sind: Sie haben nur wenige lokale Verbindungen, stehen dafür aber über Fernleitungen intensiv mit zahlreichen weiter entfernten Arealen in Kontakt. Und genau bei diesen Fernleitungen fanden Müller und ihre Kollegen die größten individuellen Unterschiede. Sie sind es demnach, die unsere Einzigartigkeit entscheidende mitprägen, so die Forscher.

Warum viele Tiere weniger individuell sind

Dieses Muster der individuellen Unterschiede könnte auch erklären, warum sich Menschen meist stärker in Verhalten und Wesen unterscheiden als Tiere. „Unser Gehirn hat seine Größe in den letzten Millionen Jahren verdreifacht“, erklären die Forscher. Viele Areale für höhere Denkfunktionen sind in dieser Zeit erst entstanden und damit auch die Fernverbindungen zwischen ihnen. Die primären Sinneszentren dagegen und auch die Regionen für die Bewegungssteuerung, besitzen auch die Tiere bereits. In ihrem kleineren Gehirn dominieren daher viele lokale Unternetze, Fernverbindungen sind seltener.

Nach Ansicht der Forscher sorgt genau dies dafür, dass Tiere in ihrem Verhalten weniger voneinander abweichen als Menschen: Die variabelsten Verknüpfungen fehlen bei ihnen, von den zwischen Individuen ziemlich gleichen lokalen Verbindungen besitzen sie dagegen reichlich. „Daher auch das gleichartigere und vorhersehbarere Verhalten dieser Tiere“, mutmaßen Müller und ihre Kollegen.

Praktische Hilfe für OPs und Studien

Aber auch ganz praktischen Nutzen in der Medizin haben die neuen Erkenntnisse: „Wenn ein Chirurg weiß, dass er bei einem Eingriff ins Gehirn nah an solche Gebiete hoher individueller Variabilität kommt, kann er zur Planung zusätzliche Bildgebungsverfahren einsetzen“, erklären die Forscher. Ähnliches gelte auch bei der Hirnstimulation beispielsweise bei Parkinson-Patienten. Dafür müssen feine Elektroden gezielt in bestimmte Areale des Gehirns platziert werden. Weiß man vorher, dass diese Zielgebiete sehr individuell verschieden sein können, reichen die Standardkarten des Gehirns zur Planung nicht aus.

Nützlich ist das neue Wissen auch für die Diagnose und Behandlung von chronischen Erkrankungen: „Wenn wir verstehen, wie groß die normale Spannbreite der individuellen Unterschiede im Gehirn ist, hilft uns das, extreme Abweichungen, wie beispielsweise bei neuropsychiatrischen Störungen, leichter zu erkennen“, sagen die Forscher. Aber auch für neurowissenschaftliche Studien sind die Ergebnisse wichtig, wie die Forscher berichten. Denn gerade bei Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren beruhen die resultierenden Karten oft auf einem Durchschnittswert mehrerer Probanden. Anhand der Karte könne man jetzt besser abschätzen, wie aussagekräftig diese Durchschnittswerte seien. (Neuron, 2013; doi: 10.1016/j.neuron.2012.12.028)

(Neuron, 07.02.2013 – NPO)

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