Medizin

Geruchs-Reaktion verrät Autismus

Autistischen Kindern fehlt die unwillkürliche Abwehrreaktion gegen unangenehme Gerüche

Autistische Kinder reagieren auf unangehme Gerüche anders als normal. Dieses zweijährige Mädchen erhält einen Duft über die rote Leitung, über die grüne wird ihr Atemfluss gemessen. © Ofer Perl

Keine Nase fürs Stinken: Künftig könnte ein simpler Geruchstest helfen, Autismus bei Kindern frühzeitig zu erkennen. Denn sie reagieren anders auf unangenehme Gerüche als gesunde Menschen. Statt reflexhaft die Luft anzuhalten, nehmen sie weiter tiefe Atemzüge, als wäre nichts gewesen, wie ein Experiment zeigt. Die fehlende Abwehrreaktion ist dabei umso ausgeprägter, je stärker der Autismus des Kindes ist. Damit könnte sich ein Geruchstest als Diagnosehilfe für Autismus eignen, wie Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

Wenn wir einen unangenehmen Geruch riechen, weichen wir unwillkürlich zurück und rümpfen die Nase. Gleichzeitig atmen wir reflexartig weniger Luft durch die Nase ein. Duftet es hingegen angenehm nach Rosen, saugen wir den Duft mit besonders tiefen Atemzügen ein. Diese Reaktion erscheint simpel, beruht aber auf einem komplexen Zusammenwirken von sensorischen und motorischen Zentren im Gehirn. Liron Rosenkrantz vom Weizmann Institute of Science in Rehovot und seine Kollegen wollten daher wissen, ob diese Reaktion bei autistischen Kindern genauso abläuft wie bei gesunden.

Keine Reaktion selbst auf fieses Stinken

Für ihr Experiment ließen sie 18 gesunde und 18 autistische Kinder im Alter sieben Jahren an vier verschiedenen Gerüchen schnuppern. Über ein kleines Rohr wurde den Kindern Rosenduft, der Duft eines Haarshampoos, das Geruch saurer Milch oder von vergammeltem Fisch vor die Nase geblasen. Die Forscher registrierten dabei, wie sich das eingezogene Luftvolumen, der Atemfluss und die Dauer des Einatmens bei den Kindern veränderte.

Das Ergebnis: Die gesunden Kinder reagierten sofort: War der Geruch unangenehm, veränderte sich ihre Atmung innerhalb von 305 Millisekunden nach dem Einleiten des Geruchs. Sie zeigten die typische unwillkürliche Abwehrreaktion. Anders die autistischen Kinder: Sie atmeten völlig normal weiter, egal welcher Geruch ihre Nase umspielte. Diese anormale Reaktion war umso ausgeprägter, je stärker die Autismus-Symptome bei dem Kind waren.

Die Kinder waren durch ein Cartoonvideo abgelenkt, während ihnen die Düfte präsentiert wurden. © Ofer Perl

Veränderte Verknüpfungen im Gehirn

„Der Unterschied im Schnüffelmuster zwischen den sich normal entwickelnden Kindern und den autistischen war überwältigend deutlich“, berichtet Koautor Noam Sobel vom Weizmann Institut. Selbst wenn die Beobachter nicht wussten, was für ein Kind sie vor sich hatten, konnten sie in 81 Prozent der Versuche die Autisten korrekt erkennen – allein anhand ihrer Riechreaktion.

„Das zeigt, dass der Geruchssinn bei Autismus tiefgreifend verändert ist – und das schon früh in der Kindheit“, sagen die Forscher. Sie vermuten, dass Veränderungen der Verknüpfungen im Gehirn für diesen Effekt verantwortlich sind. „Die Riechreaktion hängt von großräumigen Verbindungen zwischen dem Riechhirn ab, in dem der Duft identifiziert wird, und Schaltkreisen im Kleinhirn, von denen die unwillkürliche Reaktion gesteuert wird“, so Rosenkrantz und seine Kollegen.

Neue Chance für frühe Diagnose

Weil diese Reaktion unabhängig von der Sprachfähigkeit ist, könnte sich ein solcher Riechtest eignen, um gerade bei kleineren Kindern autistische Störungen früh zu erkennen. „Wir können damit Autismus und seinen Schweregrad innerhalb von zehn Minuten mit relativ hoher Genauigkeit erkennen – und das mit einem komplett nonverbalen Test“, sagt Sobel. Weil dafür nur eine unwillkürliche Reaktion gemessen werden muss, könnte der Test sogar schon bei Kleinkindern angewendet werden.

Bevor das der Fall ist, muss die Riechreaktion aber erst weiter untersucht werden, unter anderem in Studien mit mehr Teilnehmern. Zudem wollen die Forscher noch ermitteln, inwieweit diese anormale Riechreaktion nur für Autisten typisch ist oder ob sie auch bei anderen neurologischen Entwicklungsstörungen auftritt. Aber sollten sich ihre ersten Ergebnisse bestätigen, dann wäre damit ein weiteres Instrument für eine frühe Erkennung des Autismus gefunden – und je früher diese Störung erkannt ist, desto effektiver kann den Kindern geholfen werden. (Current Biology, 2015; doi: 10.1016/j.cub.2015.05.048)

(Cell Press, 03.07.2015 – NPO)

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