Weniger schwere Fälle: Eine frische Grippeimpfung schützt zwar nicht vor Covid-19, kann aber offenbar den Verlauf der Infektion günstig beeinflussen, wie eine großangelegte Vergleichsstudie nahelegt. Unter den mehr als 73.000 Patienten mit einer Coronavirus-Infektion litten die frisch gegen Influenza geimpften nur halb so oft unter Sepsis, Thrombosen und Schlaganfällen und mussten seltener im Krankenhaus und in der Intensivstation behandelt werden.
Die Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 sind der einzige verlässliche Schutz vor Covid-19 – so viel ist klar. Denn sie bringen unser Immunsystem dazu, Antikörper und spezifische Abwehrzellen gegen das Virus zu bilden und wappnen es so gegen die Infektion. Schon länger gibt es jedoch auch Hinweise darauf, dass andere Erreger wie die Erkältungs-Coronaviren oder Impfungen zumindest den Verlauf der Covid-19-Erkrankung abmildern können – beispielsweise indem sie die unspezifische Immunabwehr stärken.
Weniger Thrombosen, Schlaganfälle und Sepsis
Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass auch die Grippeimpfung einen gewissen unspezifischen Schutzeffekt bewirken könnte. Festgestellt haben dies Susan Taghioff von der University of Miami und ihre Kollegen, als sie den Krankheitsverlauf und die Gesundheitsdaten von gut 73.000 Covid-19-Patienten aus mehrere Ländern analysierten. Die Hälfte davon war zwei Wochen bis sechs Monate vor der Infektion gegen die Influenza geimpft worden, die andere nicht.
Es zeigte sich: Die Wahrscheinlichkeit, einen schweren Verlauf von Covid-19 und Komplikationen wie Thrombosen, Schlaganfälle oder eine Sepsis zu erleiden, war bei den gegen Grippe geimpften Teilnehmern signifikant geringer. Konkret mussten die Patienten in der ungeimpften Gruppe 20 Prozent häufiger auf der Intensivstation behandelt werden, entwickelten 40 Prozent häufiger tiefe Venenthrombosen, 45 Prozent häufiger eine Sepsis und 58 Prozent häufiger einen Schlaganfall.
Diese Unterschiede galten jeweils für Patienten, die sich in Alter, allgemeinem Gesundheitszustand, Vorerkrankungen und anderen Risikofaktoren glichen, wie das Forschungsteam betont.
Boost für die unspezifische Abwehr
Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass eine frische Grippeimpfung zumindest in Teilen vor den schwersten Folgen der Corona-Infektion schützen kann. Zwar sind sich die Erreger von Influenza und Covid-19 nicht einmal in Ansätzen ähnlich, die Impfung gegen Grippe mobilisiert aber neben der spezifische Abwehr gegen das Influenzavirus auch die unspezifische Immunabwehr – und das könnte dem Körper im Kampf gegen SARS-CoV-2 helfen und den Verlauf von Covid-19 günstig beeinflussen.
Wichtig ist die Grippeimpfung aber auch deshalb, weil sie eine Doppelinfektion mit SARS-CoV-2 und Influenza verhindert – und damit eine gefährliche „Twindemic“, wie es die Forschenden nennen. „Ungeachtet der möglichen Schutzwirkung gegen schwere Folgen von Covid-19 ist vor allem dies Grund genug, eine Grippeimpfung zu propagieren: Sie hilft, die Influenzafälle unter Kontrolle zu halten und entlastet dadurch die Gesundheitssysteme“, so Taghioff.
Kein Ersatz für eine Corona-Impfung
Allerdings: „Die Influenza-Impfung ist auf keinen Fall ein Ersatz für eine Corona-Impfung“, betont Taghioff. „Wir appellieren an alle, sich wenn irgend möglich gegen Covid-19 impfen zu lassen – nur das schützt zuverlässig.“ Eine Chance wäre die Grippeimpfung aber überall dort, wo bisher noch nicht genügend Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar ist. „Dieses Ergebnis ist vor allem deshalb wichtig, weil die Pandemie viele Teile der Welt an ihre Grenzen bringt“, erklärt Taghioffs Kollege Devinder Singh. „Bisher ist erst ein kleiner Teil der Welt vollständig gegen Covid-19 geimpft.“
(European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID))
Quelle: European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases