Noch ist die Vogelgrippe in erste Linie eine Tierseuche. Doch wie eine neue Studie belegt, könnten schon kleine Mutationen des aggressiven Virenstamms H5N1 seine Bindungsstellen so verändern, dass er statt des Verdauungstrakts von Vögeln die Atemwege von Menschen befällt. Das berichten Forscher in der Online Ausgabe der Zeitschrift Science.
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Das H5N1 Virus ist hoch ansteckend und tödlich – für Vögel. Bisher traten Infektionen mit Vogelgrippe bei Menschen nur in begrenztem Umfang auf: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 177 schwere Fälle sind dokumentiert, knapp hundert Menschen sind in Indonesien, Thailand, Kambodschia, China, dem Irak und der Türkei daran gestorben. Eine Mensch zu Mensch Übertragung ist bisher nicht nachgewiesen.
„Mit anhaltenden Ausbrüchen des H5N1-Virus in Geflügel und Wildvögeln sind weitere Fälle beim Menschen aber wahrscheinlich“, erklärt Ian Wilson, Prefessor für Molekularbiologie am Scripps Forschungsinstitut. „Das Potenzial für die Entwicklung eines an den Menschen angepassten H5-Virus, entweder durch Rekombination oder Mutation, ist eine klare Bedrohung der Gesundheit weltweit.”
Rezeptorbindung für Wirtsspezifität entscheidend
Für ihre Studie analysierten die Forscher den H5N1-Stamm A/Vietnam/1203/2004 (Viet04), einen der gefährlichsten bisher aufgetretenen Virenvariationen. Das Virus wurde ursprünglich aus dem Blut eines zehn Jahre alten Vietnamesen isoliert, der 2004 an der Infektion starb. Mithilfe der Mikroarray-Technik untersuchten die Wissenschaftler eine spezielle Struktur auf der Virenoberfläche, das Glycoprotein Hämagglutinin (HA).
Das virale Hämagglutinin bindet bei einer Infektion an spezielle Rezeptoren auf der Wirtszelle und ermöglicht es dem Virus, in die Zelle einzudringen, indem Virenmembran und Zellmembran verschmelzen. Während Vogelviren dabei Andockstellen bevorzugen, die an den Atomen 2 und 3 gebundene N-Acetylneuraminsäure enthalten wie im Verdauungstrakt der Vögel, sind menschliche Viren normalerweise spezifisch für 2-6 gebundene N-Acetylneuraminsäuren auf Schleimhautzellen der Lunge und der Atemwege.
Nur kleine Mutation nötig
Bisher verhinderten diese unterschiedlichen Präferenzen eine stärkere Ausbreitung von H5N1-Infektionen beim Menschen. Ein Wechsel von einer 2-3 zu einer 2-6 Präferenz wird daher von Wissenschaftlern als entscheidender Schritt in der Anpassung der Vogelviren an einen menschlichen Wirt angesehen. Schon jetzt zeigten die Analysen, dass die Hämagglutinin-Struktur des Viet04-Virus sehr stark dem des Influenzavirus von 1918 ähnelt, der 50 Millionen Menschen weltweit tötete.
Die Studie zeigte jetzt, dass schon kleine Mutationen die entscheidenden Veränderungen auslösen könnten. “Unsere strukturellen Analysen des Viet04 Virus ergaben, dass wenn wir HA Mutationen einbauten, die beim Stamm H3 die Rezeptorpräferenz auf die menschlichen Atemwege verschoben, auch bei Viet04 erhöhte Präferenz für spezifische menschliche Glykane auftraten, die auf Lungenzellen als Rezeptoren dienen können“, erklärt Wilson. „Der Effekt dieser Mutationen auf den Viet04 Virus erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Bindung und damit einer Infektion von anfälligen Schleinhautzellen.“
Die Wissenschaftler betonten jedoch auch, dass diese Ergebnisse nur einen möglichen Weg der Virusadaption aufzeigen. Auch andere „bisher nicht identifizierte Mutationen“ könnten auftauchen und es dem Virus ermöglichen, die Rezeptorspezifität zu verändern und den Sprung zu einer Mensch-Mensch-Übertragung zu vollziehen.
(Scripps Research Institute, 20.03.2006 – NPO)