Spektakulärer Sonderfall: Forscher haben in Australien ein Paar von halbidentischen Zwillingen identifiziert – sie stehen genetisch zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen. Der Junge und seine Schwester teilen zwar 100 Prozent ihrer mütterlichen Gene, tragen aber väterlicherseits das Erbgut von zwei verschiedenen Spermien. Weltweit ist dies erst der zweite bekannte Fall dieser ungewöhnlichen genetischen Konstellation.
Normalerweise gibt es zwei Arten von Zwillingen: Eineiige Zwillinge entstehen, wenn eine Eizelle von einem Spermium befruchtet wird und sich dann in zwei Embryonen teilt. Diese Zwillinge sind genetisch gesehen Klone und besitzen die gleiche DNA. Anders ist dies bei zweieiigen Zwillingen: Sie entstehen aus zwei verschiedenen Eizellen und Spermien. Diese Zwillinge sind daher genetisch nicht enger verwandt als normale Geschwister und teilen rund 50 Prozent ihrer Gene.
Diskrepanzen schon im Mutterleib
Doch es gibt noch einen dritten Fall, wie nun zwei vierjährige Geschwister im australischen Brisbane belegen: Ihr von der Mutter geerbtes Genom ist zu 100 Prozent genetisch identisch – sie sind damit eineiig. Aber väterlicherseits stimmt ihr Erbgut nur zum Teil überein. Damit sind die beiden ein halbidentisches Zwillingspaar – ein Sonderfall der Natur, den man zuvor erst ein einziges Mal gefunden hat.
Entdeckt haben Forscher die ungewöhnliche Genetik dieser Zwillinge bereits, als sie noch im Mutterleib waren: „Ultraschall-Aufnahmen zeigten damals nur eine Plazenta und eine Position der Fruchtblase, was auf eineiige Zwillinge hindeutete“, berichtet Nicholas Fisk von der University of New South Wales in Sydney. „Aber mit 14 Wochen enthüllte der Ultraschall, dass es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte – das ist bei eineiigen Zwillingen nicht möglich.“
Genetisch zwischen ein- und zweieiig
Um das Rätsel zu lösen, analysierten Fisk und sein Team die DNA der beiden Kinder – mit überraschendem Ergebnis. Denn in Bezug auf das von der Mutter geerbte Genom sind diese Zwillinge tatsächlich eineiig – sie sind aus derselben Eizelle entstanden. Doch väterlicherseits sind diese beiden Kinder nicht ähnlicher als andere Geschwister auch: Sie teilen nur rund 50 Prozent ihrer väterlichen DNA.
„Dies ist demnach ein außergewöhnlicher Fall von halbidentischen Zwillingen“, sagt Fisk. Weltweit ist bisher nur ein einziges anderes Zwillingspaar mit dieser einzigartigen genetischen Konstellation bekannt. Dieses Paar wurde 2007 identifiziert, als eines der beiden Kinder wegen seiner zwittrigen Genitalien von Genetikern näher untersucht wurde. Die nun in Brisbane gefundenen Zwillinge sind damit erst der zweite Fall weltweit.
Eine Eizelle, befruchtet von zwei Spermien
Wie aber kommen solche halbidentischen Zwillinge zustande? Wie die Forscher erklären, muss die Eizelle von gleich zwei Spermien befruchtet worden sein. Allein dies ist schon selten, weil biologische Sperren normalerweise jedes Eindringen eines zweiten Spermiums in die Eizelle verhindern. Denn das Resultat einer solche Doppelbefruchtung ist eine Zygote, die einen dreifachen Chromosomensatz enthält – einen von der Mutter zwei von den Vätern.
„Drei Sätze von Chromosomen sind normalerweise nicht mit dem Leben vereinbar – diese Embryos überleben deswegen nicht“, erklärt Koautor Michael Gabbett von der Queensland University. „Doch im Fall der halbidentischen Brisbane-Zwillinge scheint die befruchtete Eizelle die Chromosomen rechtzeitig auf verschiedene Zellgruppen aufgeteilt zu haben.“ Dabei bekamen einige Zellen das Erbgut des einen Spermiums, die anderen das des zweiten mit. Das Erbgut der Mutter blieb dagegen in allen Tochterzellen erhalten.
Es bleibt eine absolute Ausnahme
Wie selten und ungewöhnlich diese genetische Konstellation ist, stellten die Wissenschaftler fest, als sie gezielt nach weiteren Fällen suchten. „Wir dachten zuerst, dass es vielleicht noch andere Fälle gibt, die nur nicht dokumentiert oder falsch klassifiziert worden sind“, sagt Fisk. Doch die genetische Analyse von 968 vermeintlich zweieiigen Zwillingspaaren und eine Suche in den Daten von globalen Zwillingsstudien wiederlegten dies:
„Wir haben keinen einzigen weiteren Fall solcher sesquizygotischen Zwillinge gefunden – weder bei den DNA-Analysen noch in den Studiendaten“, berichtet Fisk. Damit scheint klar, dass solche halbidentischen Zwillinge tatsächlich ein seltener „Ausrutscher“ im komplexen Spiel der menschlichen Befruchtung darstellen. (The New England Journal of Medicine, 2019; doi: 10.1056/NEJMoa1701313)
Queensland University of Technology