Ist mein Alzheimer-Risiko erhöht? Das kann nun offenbar ein Smartphone-Spiel beantworten. Denn die von Wissenschaftlern entwickelte App deckt subtile Defizite in der Orientierung auf, die schon lange vor den ersten Gedächtnisschwächen auftreten. Auch Menschen mit einer genetischen Prädisposition für Alzheimer lassen sich mit diesem Spiel identifizieren, wie die Forscher berichten. Das könnte bei der Früherkennung und frühen Behandlung helfen.
Alzheimer ist eine der häufigsten Demenzerkrankungen im Alter. Weil die Zerstörung der Gehirnzellen jedoch schleichend fortschreitet, wird die Krankheit oft erst erkannt, wenn Gedächtnisdefizite auftreten und wichtige Hirnareale schon schwer geschädigt sind. Das Problem: Bisherige Therapien können diese Hirnschäden nicht rückgängig machen, das Absterben der Neuronen lässt sich nur verlangsamen. Umso wichtig ist es, Alzheimer möglichst früh zu erkennen – beispielsweise mittels Bluttests oder KI-gestützten Hirnscans.
Handy-Spiel hilft Neurologen
Jetzt könnte ein ungewöhnliches Hilfsmittel die Diagnose erleichtern – ein Handy-Spiel. Die App „Sea Hero Quest“ wurde von der Telekom unter Mitwirkung von Neurologen speziell für die Demenzforschung entwickelt. Im Spiel besteht die Aufgabe darin, seinen Weg durch das Labyrinth einer virtuellen Ozeanwelt mit Inseln und Eisbergen zu finden. Die Daten und das Verhalten der Spieler werden an Forschungsserver übermittelt und von Wissenschaftlern ausgewertet.
Der Clou dabei: Weil schon mehr als vier Millionen Menschen dieses Spiel gespielt haben, konnten Forscher daraus die weltweit erste Benchmark zur normalen menschlichen Orientierungsfähigkeit erstellen. Sie liefert Vergleichswerte dafür, wie und wie gut Menschen verschiedenen Alters, Geschlechts oder verschiedener Kulturen navigieren.
Subtile Defizite
Auf Basis dieser Vergleichswerte können die Neurologen dann subtile Defizite in der Navigation identifizieren, die für Alzheimer charakteristisch sind. „Studien deuten darauf hin, dass diese subtilen Defizite schon Jahre vor den ersten Gedächtnissymptomen auftreten können“, erklärt Forschungsleiter Michael Hornberger von der University of East Anglia.
In der aktuellen Studie haben Hornberger und sein Team untersucht, ob auch Menschen mit einer genetischen Disposition für Alzheimer mithilfe des Spiels identifiziert werden können. Aus Studien weiß man, dass Menschen, die eine bestimmte Variante des APOE-Gens tragen, das sogenannte APOE4, ein rund dreifach höheres Risiko für eine Alzheimer-Demenz besitzen. Träger dieser Genvariante sind rund ein Viertel der Bevölkerung.
Genetische Vorbelastung zeigt sich im Spiel
Im Experiment ließen die Forscher 31 Probanden mit dem APOE4-Gen das Spiel Sea Hero Quest spielen. Diese Teilnehmer waren zwar genetisch vorbelastet, aber nach herkömmlichen Tests der geistigen Leistungen gesund. Wie gut sie die Navigation und die Aufgaben im Spiel meisterten, verglichen die Wissenschaftler dann mit dem Abschneiden von 29 Probanden ohne das APOE4 und mit den Spieldaten von 27.000 Nutzern aus der allgemeinen „Benchmark“.
Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass die Menschen mit dem Risikogen APOE4 in den Navigationsaufgaben des Spiels schlechter abschnitten“, berichtet Hornberger. „Sie nahmen weniger effiziente Routen zu den Kontrollpunkten. Diese Unterschiede waren besonders ausgeprägt, wenn der zu navigierende Raum weit und offen war.“ Die Probanden ohne das Risikogen schnitten dagegen genauso gut ab wie die große Kontrollgruppe der Spieler.
„Das ist besonders wichtig und spannend, weil die Standardtests des Gedächtnisses und der geistigen Leistung nicht zwischen den Risiko- und Nichtrisiko-Gruppen unterschieden konnten“, sagt Hornberger. „Denn die Betroffenen hatten noch kein Gedächtnisproblem.“
Hilfsmittel für bessere Diagnose und Therapie
Nach Ansicht der Wissenschaftler belegt dies, dass sich solche spezialisierten Spieltests dazu eignen, Frühstadien von Alzheimer und eine genetische Veranlagung für die Demenzerkrankung zu identifizieren – lange bevor erste Gedächtnisdefizite manifest werden. „Das liefert uns einen Trittstein hin zu individualisierten Diagnosen und Therapien bei präklinischem Alzheimer“, so die Forscher.
Die Forscher hoffen, dass auf Basis ihrer Erkenntnisse neue Diagnose-Werkzeuge entwickelt werden. „Dieses Ergebnis demonstriert zudem, wie hilfreich es sein kann, Citizen-Science-Projekte und Big-Data-Technologien für die Früherkennung von Krankheiten wie Alzheimer einzuspannen“, sagt Hornbergers Kollegin Gillian Coughlan. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1901600116)
Quelle: University of East Anglia, CNRS