Biotechnologie

Haut und Haare aus der Petrischale

Forscher züchten erstmals fast komplette menschliche Haut aus Stammzellen

Hautaufbau
Aus Stammzellen die menschliche Haut samt aller Zellen und Gewebe zu züchten, ist nun Forschern gelungen. © Firstsignal/ iStock.com

Spannender Durchbruch: US-Forschern ist es gelungen, menschliche Haut mitsamt Haaren, Nervenzellen und Gewebeschichten aus Stammzellen zu züchten. Aus den undifferenzierten Zellen wuchs zunächst ein rundliches, mehrschichtiges Organoid, das sich nach Transplantation kleiner Stücke auf Mäuse zur reifen Haut weiterentwickelte. Dies eröffnet neue Therapiechancen für Wunden, Verbrennungen und vielleicht auch für kahle Kopfhaut, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Die Zucht von Geweben und Organen im Labor könnte eines Tages die Medizin revolutionieren. Doch während Herzen, Nieren, Muskeln und sogar Miniaturgehirne schon erzeugt wurden, tun sich Forscher mit der menschlichen Haut schwer – sie ist einfach zu komplex. Sie besteht aus mehreren Gewebeschichten, in die neben Haut- und Fettzellen auch Haarfollikel, Schweißdrüsen, Nervenenden und Blutgefäße eingebettet sind. Erst 2016 ist es Wissenschaftlern erstmals gelungen, Mäusehaut mitsamt der Haare aus Stammzellen zu züchten.

Gezielte Differenzierung von Stammzellen

Dass man auch menschliche Haut und Haare im Labor züchten kann, belegen nun Jiyoon Lee von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen. Sie haben nahezu vollständige menschliche Haut mitsamt Haarfollikeln, Talgdrüsen und Nervenzellen aus Stammzellen erzeugt und erfolgreich auf Mäuse transplantiert. „Dies ist die erste Studie, die zeigt, dass auch menschliche Haare aus Stammzellen in einer Petrischale gezüchtet werden können“, erklärt Lees Kollege Karl Koehler.

Ausgangspunkt des Experiments waren embryonale menschliche Stammzellen, die noch die Fähigkeit besitzen, sich in nahezu alle Zelltypen des Körpers zu entwickeln. Diese Stammzellen kultivierten die Forscher in einer speziellen Nährlösung, der sie nacheinander verschiedene Wachstumsfaktoren zusetzten. Zunächst kamen Botenstoffe hinzu, die die Differenzierung der Stammzellen in die Epidermis und ihre Zelltypen anstießen, dann folgten Wachstumsfaktoren, die die Entwicklung der Lederhaut (Dermis) und ihrer Strukturen förderten.

Rundlicher Klumpen mit „Tentakeln“

Nach etwa 70 Tagen war aus der Zellkultur ein rundlicher Klumpen herangewachsen, der bereits aus der Oberhaut, der Dermis und dem Unterhautfettgewebe bestand. Im Laufe der folgenden Wochen entwickelten sich dann in diesem Organoid erste Haarfollikel, aus denen Haare sprossen. „Wenn die Haarfollikel wachsen, ragen die Haarwurzeln zunächst strahlenförmig nach außen aus dem Organoid heraus“, erklärt Koehler. „Das sieht bizarr aus, fast ein wenig wie eine Tiefsee-Kreatur mit Tentakeln.“

Im weiteren Verlauf der Reifung entwickelten die Haarfollikel Pigmente und ordneten sich in einem relativ regelmäßigen Abstand voneinander an. Parallel dazu differenzierten sich einige Stammzellen zu Nerven- und Sinneszellen aus. „Ab dem Tag 125 wuchsen diese neuronalen Fortsätze bis zum Epithel und wandelten sich um die Haarfollikel, ähnlich den noch unreifen Nervenenden eines menschlichen Fötus mit 18 Wochen“, berichten die Forscher. Gentests ergaben, dass auch die Genaktivität der Zellen in diesen Haut-Organoiden der der fötalen Haut ähnelte.

„Damit haben wir ein Kultursystem für Organoide entwickelt, das komplexe menschliche Haut aus pluripotenten Stammzellen erzeugen kann“, konstatieren Lee und seine Kollegen.

Transplantation lässt Hautstücke reifen

Doch eignen sich diese Haut-Organoide auch zur Transplantation? Um zu testen, pflanzten die Wissenschaftler Mäusen millimeterkleine Stückchen dieser geschichteten Zuchthaut ein. Vor dieser Transplantation wurde das Immunsystem der Mäuse stark gedrosselt, damit es nicht zu einer Abstoßungsreaktion des menschlichen Gewebes kam.

Das Ergebnis: Schon nach kurzer Zeit waren die Hautstückchen eingewachsen und reiften zu einer echten Haut heran. In 55 Prozent der Transplantate blieben die Haarfollikel intakt und produzierten wachsende Haare, wie die Forscher berichten. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, dass zystische Haut-Organoide sich entrollen können und zu flacher Haut heranwachsen“, so Lee und sein Team. Sie wollen nun untersuchen, ob diese Hauttransplantate auch nach mehreren Monaten noch gesund und lebensfähig bleiben.

Neue Chancen für die Medizin

Sollte dies der Fall sein, könnte eine solche „Zuchthaut“ ganz neue Chancen für die Behandlung von Hautverletzungen und Hautkrankheiten bieten. „Dies könnte die Art und Weise verändern, wie wir viele Wunden und plastische Rekonstruktionen angehen“, sagt Co-Autorin Taha Shipchandler von der Indiana University. „Das hätte einen profunden Effekt auf dieses Gebiet der Medizin.“

Ähnlich sehen dies Leo Wang und George Cotsarelis von der University of Pennsylvania in Philadelphia. In einem begleitenden Kommentar schreiben sie: „Die Studie von Lee und Kollegen ist ein großer Schritt hin zu einer ‚Kur‘ für Kahlheit beim Menschen und sie ebnet den Weg hin zu anderen, noch größeren Therapiemöglichkeiten.“

Wichtig zur Optimierung der Methode sei es nun jedoch, diese Hautzucht auch mit induzierten, aus adulten Zellen erzeugten Stammzellen durchführen zu können. Denn embryonale Stammzellen sind ethisch umstritten und nur in geringem Maße verfügbar. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2352-3)

Quelle: Indiana University

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