Veränderte Erwartungen: Elektrostimulation des Gehirns kann erwünschte Placebo-Effekte verstärken und unerwünschte Nocebo-Effekte abschwächen, wie nun eine Studie belegt. Demnach beeinflusst die gezielte Stimulation von Teilen des Stirnhirns neuronale Verknüpfungen, die offenbar maßgeblich für den Placebo- und Nocebo-Effekt sind. Das könnte sich beispielsweise in der Schmerztherapie nutzen lassen.
Der Placebo-Effekt ist mehr als nur Einbildung: Er löst messbare Veränderungen in der Proteinsignatur im Blut aus, wirkt sogar gegen schwere Krankheiten wie Parkinson und funktioniert auch, wenn die Probanden wissen, dass sie nur ein Scheinmedikament erhalten. Andersherum kann allein der Gedanke an unerwünschte Nebenwirkungen kann dazu führen, dass sie tatsächlich auftreten – der sogenannte Nocebo-Effekt.
Placebo- und Nocebo-Effekt spielen sowohl für wissenschaftliche Studien als auch für die Behandlung von Patienten eine wichtige Rolle. Wie und warum sie wirken, ist aber nach wie vor unklar.
Placebo- und Nocebo-Effekt bei der Schmerzwahrnehmung
Ein Team um Yiheng Tu von der Harvard Medical School in Massachusetts hat nun untersucht, wie bestimmte Hirnregionen beeinflussen, welchen Einfluss Placebo- und Nocebo-Effekt auf die Schmerzwahrnehmung haben. „Frühere Studien haben darauf hingedeutet, dass kognitive Modulationen des Schmerzempfindens vom dorsolateralen präfrontalen Cortex ausgehen, einer Hirnregion, die Erwartungen verarbeitet“, erklären die Forscher.
Darauf aufbauend stimulierten Tu und Kollegen bei ihren Probanden diese im Stirnbereich liegende Hirnregion mit sogenannter transkranieller Gleichstromstimulation. Dabei wird mittels Elektroden eine elektrische Spannung von außen an bestimmten Punkten auf der Kopfhaut angelegt. Dadurch entsteht im Inneren des Kopfes ein elektrisches Feld, das je nach Polung – anodisch oder kathodisch – aktivierend oder hemmend auf die Hirnfunktionen wirken kann.
Erwartungen manipuliert
Vor der Hirnstimulation schufen die Forscher zunächst bei ihren Probanden die Voraussetzungen für einen Placebo- beziehungsweise Nocebo-Effekt. Dafür trugen sie ihnen drei Salben an verschiedenen Stellen des Unterarms auf und erklärten, eine der Salben enthalte den schmerzlindernden Wirkstoff Lidocain, eine die schmerzfördernde Substanz Capsaicin und eine keinen Wirkstoff. In Wirklichkeit handelte es sich bei allen Salben um das gleiche wirkstofffreie Präparat.
Damit die Probanden stärker an die Wirkung der Salben glaubten, fügten die Forscher ihnen nun unterschiedlich starke Schmerzreize zu: Leichte Schmerzreize an Stellen mit der angeblichen Lidocain-Salbe, mittlere Schmerzreize an Stellen mit der neutralen Salbe und stärkere Schmerzreize an Stellen mit der angeblichen Capsaicin-Salbe.
Nun teilten die Forscher ihre 81 Probanden in drei Gruppen: Zwei Gruppen erhielten an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 20 Minuten Hirnstimulation, je nach Gruppe hemmend oder anregend. Die dritte Gruppe diente als Vergleich und erhielt nur eine Scheinstimulation. Vor, während und nach der Stimulation zeichneten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) auf. Am dritten Tag wiederholten die Forscher nach der Hirnstimulation das Experiment mit den Salben. Dieses Mal allerdings waren alle Schmerzreize gleich stark.
Placebo-Effekt verstärkt
Das Ergebnis: Alle Probanden nahmen die Schmerzen an Stellen mit der angeblichen Capsaicin-Salbe am stärksten wahr, an Stellen mit der angeblichen Lidocain-Salbe am schwächsten. Die Erwartung einer Schmerzlinderung oder -steigerung führte also durch den Placebo- und Nocebo-Effekt dazu, dass sie tatsächlich eintrat.
Doch wie stark die jeweiligen Effekte ausgeprägt waren, hing davon ab, ob und welche Art von Hirnstimulation die Probanden zuvor erhalten hatten. Beide Gruppen, die echte Hirnstimulation erhalten hatten, zeigten einen stärkeren Placebo- und einen schwächeren Nocebo-Effekt als die Kontrollgruppe. Dadurch verstärkte sich die positive Wirkung der angeblichen Lidocain-Salbe bei ihnen, die negative Wirkung der angeblichen Capsaicin-Salbe verringerte sich. Auf die generelle Schmerzwahrnehmung hatte die Hirnstimulation dagegen keinen Einfluss: Das Schmerzempfinden an Stellen mit der neutralen Salbe blieb gleich.
Wirkung abhängig von der Polung der Stimulation
Das Ausmaß der Stimulationswirkung hing dabei von der Art des angelegten elektrischen Felds ab: Bei der Gruppe mit kathodischer Stimulation des Stirnhirns war der Placebo-Effekt besonders deutlich verstärkt, bei der anodischen Gruppe der Nocebo-Effekt besonders deutlich abgeschwächt. Aus ihren fMRT-Daten schließen die Forscher, dass sich die Art der Stimulation auf die Verknüpfung bestimmter Hirnregionen auswirkt.
„In der kathodischen Gruppe fanden wir eine erhöhte Konnektivität zwischen dem rechten dorsolateralen präfrontalen Cortex und dem ventromedialen präfrontalen Cortex, wenn schmerzhafte Stimuli an Stellen mit Lidocain-Creme appliziert wurden“, berichten die Forscher. In der anodischen Gruppe dagegen war die Interaktion mit der Insula abgeschwächt, wenn Schmerzreize an den Stellen mit Capsaicin-Creme gesetzt wurden. Beide beteiligten Hirnregionen werden mit der Verarbeitung von Emotionen und der Selbstwahrnehmung in Verbindung gebracht.
Für die Schmerztherapie nutzbar
„Das Potenzial, gesundheitsfördernde Placebo-Effekte zu verstärken und/oder behandlungsstörende Nocebo-Effekte zu vermindern, kann klinische Bedeutung haben“, schreiben die Autoren. Weitere Forschungen seien notwendig, um weiter auszuloten, inwieweit sich die Erkenntnisse in der Behandlung von Patienten oder bei Medikamentenstudien anwenden lassen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021, doi: 10.1073/pnas.2101273118)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences