Immunschutz vor Ort: Forscher haben einen Ansatz entwickelt, durch den eine Impfung mittels Inhalation möglich werden könnte – auch zum Schutz gegen SARS-CoV-2. Ihr Test-Impfstoff bindet an ein in den Schleimhäuten vorkommendes Protein und wird so wie von einem Trojanischen Pferd in die Gewebe der Lunge und Atemwege eingeschleust. In Tests schützte eine solche Inhalationsimpfung Mäuse noch fünf Monate später vor einem tödlichen Virus, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science Immunology“ berichten.
Ob gegen Covid-19, die Masern oder die Grippe – die meisten Impfstoffe werden bislang intramuskulär verabreicht. Über das Blut breiten sich die immunwirksamen Substanzen dann im Körper aus und provozieren die Bildung von spezifischen Antikörpern, T-Zellen und Gedächtniszellen. Es gibt aber auch einzelne Vakzine, beispielsweise gegen Influenza oder Typhus, die als Nasenspray oder als Schluckimpfung verabreicht werden können.
Wirkung direkt am Infektionsort
Der Vorteil solcher Impfungen: Wenn das Vakzin direkt dort wirken kann, wo der Erreger angreift, ist der Immunschutz höher, wie Studien belegen. „Es gibt ein allgemeines Prinzip, nachdem eine Impfung direkt an den Schleimhäuten auch einen stärkeren Immunschutz an diesen Stellen bewirkt“, erklärt Seniorautor Darrell Irvine vom Massachusetts Institute of Technology. Denn in den Schleimhäuten werden dann T-Gedächtniszellen stationiert, die den Erreger erkennen und die Abwehr einleiten.
Vor allem gegen Atemwegs-Viren wären daher inhalierte Impfstoffe nicht nur einfacher anzuwenden, sie könnten auch wirksamer sein. Das Problem ist jedoch, dass eine solche lokale Impfung bisher nur mit Impfstoffen funktioniert, die lebende Viren enthalten. Denn sie überwinden die Schutzbarrieren der Schleimhaut und gelangen so an ihren Wirkort. Impfstoffe ohne virale Vektoren, wie beispielsweise die gegen das Coronavirus eingesetzten mRNA-Impfstoffe oder Peptid-Vakzine, würden dagegen zu schnell von den Schleimhäuten entfernt.
Schleimhaut-Protein als Trojanisches Pferd
Doch es geht auch anders: Irvine und sein Team haben nun einen „Trick“ genutzt, um Peptid-Impfstoffe direkt in die Schleimhäute einzuschleusen. Dafür ergänzten sie zwei experimentelle Peptidvakzine um einen Zusatzstoff, der die Anbindung der Peptide an das Protein Albumin bewirkt. Dieses Protein kommt natürlicherweise in Schleimhäuten vor und regelt beispielsweise in der Lunge den osmotischen Druck.
Albumin kann die Schleimhautbarrieren problemlos passieren und eignet sich daher gut als „Transporteur“ für den Impfstoff. „Unsere Idee war, dass wir das Albumin als eine Art Trojanisches Pferd nutzen könnten, um das Vakzin durch die Barriere zu bringen“, erklärt Irvine. Um das zu testen, pusteten die Forscher Mäusen den Testimpfstoff in die Bronchien und untersuchten, ob und welche Immunreaktionen dies hervorrief. Als Gegentest spritzten sie weiteren Mäusen den gleichen Impfstoff intramuskulär.
Verstärkte T-Zell-Antwort
Das Ergebnis: In beiden Fällen bildeten sich spezifische T-Zellen gegen das Impfpeptid in den Lungengeweben und lungennahen Lymphknoten der Tiere. Die Impfung direkt in den Atemwegen erzeugte aber eine 25-fach stärkere T-Zell-Reaktion als bei intramuskulärer oder subkutaner Gabe, wie die Forscher berichten. Sowohl die T-Zellen, die antivirale Botenstoffe freisetzen, als auch die T-Gedächtniszellen, die als Wächter gegen erneute Erregerkontakte fungieren, waren nach der Inhalation reichlicher vertreten.
In einem ergänzenden Test prüfte das Team, ob auch eine Applikation mittels Nasenspray die gewünschte Immunreaktion hervorruft. Denn eine intranasale Verabreichung ist in der Praxis einfacher zu handhaben als eine Inhalation. Es zeigte sich, dass die T-Zell-Reaktion bei nasaler Impfung nur ein Viertel so stark ausfiel. „Eine intranasale Applikation scheint demnach für Immunreaktionen der unteren Atemwege weniger effektiv zu sein“, so Irvine und sein Team.
Schutz gegen tödliches Virus
Ob diese Impfung gegen eine Infektion schützt, testeten die Wissenschaftler nach fünf Monaten. Dafür setzten sie die geimpften Mäuse sowie ungeimpfte Kontrolltiere dem Vaccinia-Virus aus. Dieses Virus wurde beim Menschen zur Pockenimpfung eingesetzt, ist aber für Mäuse tödlich. Es zeigte sich: „Alle Tiere, die das Vakzin intratracheal erhalten hatten, überlebten diese Virendosis. Die Mäuse in allen anderen Gruppen verloren dagegen nach der Infektion kontinuierlich an Gewicht und starben am siebten Tag“, berichten Irvine und sein Team.
Nach Ansicht der Forscher demonstrieren diese Ergebnisse, dass man Peptid-Impfstoffe so abwandeln kann, dass sie auch durch Inhalation verabreicht werden können. Diese lokale Applikation führt dann zu einem effektiven Immunschutz durch T-Zellen direkt am Ort der Infektion. Irvine und sein Team haben bereits damit begonnen, einen für die Inhalation geeigneten Covid-19-Impfstoff nach diesem Prinzip zu entwickeln.
Impfstrategie auch gegen Krebs wirksam
Aber auch gegen Krebs könnte diese Impfstrategie helfen: In einem weiteren Experiment zeigte sich, dass sich auf die gleiche Weise auch inhalierbare Vakzine gegen Krebsmetastasen herstellen lassen. Verabreichten die Forscher Mäusen damit ein Peptid aus Melanomen, bildeten sie T-Zellen gegen diesen Bestandteil der Hautkrebszellen. Das verhinderte bei den geimpften Tieren die Bildung von Metastasen in der Lunge durch streuende Melanomzellen, wie Irvine und sein Team berichten.
„In den Viren und den Tumor-Experimenten bestätigen wir, dass die T-Gedächtniszellen sich in der Lunge stationieren und dort direkt an der Schleimhautbarriere warten“, erklärt Irvine. „Sobald dann ein Virus oder eine Tumorzelle auftaucht, können die T-Zellen sie direkt beseitigen.“ (Science Immunology, 2021; doi: 10.1126/sciimmunol.abd8003)
Quelle: Massachusetts Institute of Technology