Nach AstraZeneca gibt es nun auch beim Corona-Impfstoff von Johnson & Johnson Probleme in Form der seltenen Hirnvenenthrombosen. Nachdem in den USA sechs Fälle nach 6,8 Millionen verimpften Dosen gemeldet wurden, haben die US-Behörden die Impfungen mit dem Vakzin pausiert, Johnson & Johnson stoppt vorerst auch den Rollout in Europa. Da es sich ebenfalls um einen Vektorimpfstoff handelt wie bei AstraZeneca, könnte das Auftreten der Nebenwirkung bei der Ursachensuche helfen.
Nachdem die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 und das Coronavirus SARS-CoV-2 zunächst weit schneller und erfolgreicher verlief als anfangs erhofft, mehren sich nun zumindest für eine Art der Vakzine weniger gute Nachrichten. Während die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna bislang reibungslos funktionieren, traten nach Impfung mit dem Vektor-Vakzin von AstraZeneca in Europa vermehrt Fälle seltener Hirnvenenthrombosen auf und die Impfungen damit wurden vorübergehend ausgesetzt.
Inzwischen gibt es Indizien dafür, dass es bei einigen wenigen Menschen – in etwa einem von 20.000 bis einem von 100.000 Fällen – zu einer vom Impfstoff induzierten Autoimmunreaktion kommt. Bei dieser greifen körpereigene Antikörper ein Protein auf den Blutplättchen an und bringen diese zur Verklumpung. Betroffen sind vor allem Frauen jüngeren und mittleren Alters. Unklar ist jedoch bisher, was diese Reaktion auslöst – ob das Trägervirus, ein Schimpansen-Adenovirus, ein Zusatzstoff des Vakzins oder auch das vom Körper nach der Impfung produzierte virale Spike-Protein.
Hirnvenenthrombosen bei zweitem Impfstoff
Jetzt sind auch bei einem zweiten Vektor-Impfstoff Fälle von Hirnvenenthrombosen gemeldet worden. Der Impfstoff des Herstellers Johnson & Johnson hat in den USA eine Notfallzulassung und wurde dort 6,8 Millionen mal verimpft. Dabei sind bisher sechs Fälle der seltenen Sinusvenenthrombosen aufgetreten, das entspricht einer Häufigkeit von knapp eins zu einer Million. Alle Fälle ereigneten sich bei Frauen zwischen 18 und 48 und traten sechs bis 13 Tage nach der Impfung auf, wie die US-Behörden CDC und FDA bekanntgaben.
Ähnlich wie schon bei dem AstraZeneca-Vakzin waren die Hirnvenenthrombosen mit einem auffallenden Mangel an Blutplättchen gekoppelt – ein Merkmal, das für die gleiche Autoimmunreaktion sprechen könnte. „Ausgehend von den begrenzten Informationen, die wir momentan haben, scheinen diese sechs Fälle denen ähnlich, die wir schon mit dem AstraZeneca-Vakzin gesehen haben“, kommentiert Ian Douglas von der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Vorübergehender Impf- und Lieferstopp
Um die Lage zu prüfen, haben die US-Behörden nun erst einmal eine Impfpause für das Vakzin von Johnson & Johnson angeordnet. In Europa läuft das Zulassungsverfahren für diesen Impfstoff noch, Dabei werden vor allem die Daten der klinischen Studie der Phase III geprüft, bei der 44.325 Menschen entweder das Vakzin oder ein Placebo erhalten haben. Prophylaktisch wurden aber von der EU schon mehrere Millionen Dosen des Impfstoffs geordert. Deren Lieferung war schon in Vorbereitung.
Jetzt werden die neuen Fälle von Hirnvenenthrombosen auch von den EU-Zulassungsbehörden noch einmal geprüft werden müssen. Der Hersteller hat bereits angekündigt, dabei eng mit den Behörden zusammenzuarbeiten: „Wir untersuchen diese Fälle gemeinsam mit den europäischen Gesundheitsbehörden“, so Johnson & Johnson in einer Presseerklärung. „Wir haben daher die Entscheidung getroffen, proaktiv den Rollout unseres Impfstoffs in Europa zu verzögern.“
Sind die Trägerviren der Auslöser?
Auffallend ist, dass diese seltene Nebenwirkung bei zwei Impfstoffen mit ähnlichem Wirkprinzip auftritt. Denn auch das Covid-19-Vakzin von Johnson & Johnson nutzt ein Adenovirus, um die Bauanleitung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 in die menschlichen Zellen zu schleusen. Anders als bei AstraZeneca ist das Trägervirus bei dem Johnson-Vakzin aber kein Tiervirus, sondern ein abgeschwächtes, nicht vermehrungsfähiges menschliches Erkältungsvirus (Ad26).
Dennoch weckt die Übereinstimmung den Verdacht, ob möglicherweise die Vektorviren die seltenen Nebenwirkungen auslösen könnten. „Diese Entwicklung deutet auf die Möglichkeit hin, dass zumindest einige Adenovirus-Vektoren entweder selbst oder in Kombination mit dem Spike-Protein-Gen von SARS-CoV-2 diese spezielle Reaktion bei einigen wenigen Individuen hervorrufen kann“, sagt Adam Finn von der University of Bristol.
Sollten die Trägerviren das Problem sein, dann könnte auch das in Russland entwickelte Vakzin Sputnik-V betroffen sein. Denn dieses nutzt für die erste Dosis ebenfalls das Adenovirus 26, für die zweite Dosis kommt eine modifizierte Version des Erkältungsvirus Ad5 zum Einsatz.
Oder sind doch Zusatzstoffe schuld?
Merkwürdig ist allerdings, dass die Hirnvenenthrombosen bisher bei Vakzinen mit zwei unterschiedlichen Viren aufgetreten sind. Zudem stellt sich die Frage, warum diese Autoimmunreaktion nicht auch bei einer normalen Infektion mit dem Erkältungsvirus Ad26 vorkommt. Zudem ist auch nicht ausgeschlossen, dass nicht die Adenoviren, sondern bestimmte Zusatzstoffe für die Nebenwirkungen verantwortlich sind.
Umso wichtiger ist es nun, beide Impfstoffe und ihre Inhaltsstoffe genau zu vergleichen, um nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen. „Das könnte uns dabei helfen, den Mechanismus zu verstehen und einen Weg zu finden, um das Auftreten dieses Problems zu verhindern“, sagt Finn. „Angesichts der großen Bedeutung dieser Vakzinen für die Bekämpfung der Pandemie ist eine Untersuchung dieses Phänomens nun eine sehr große internationale Priorität.“
Quelle: CDC, FDA, Johnson & Johnson, Science Media Centre UK