Der aggressive Stamm des Vogelgrippevirus H5N1 löst weltweit Besorgnis aus, denn das Virus scheint sich zunehmend an Säugetiere anzupassen, wie Infektionen verschiedener Tiere und vereinzelt auch Menschen nahelegen. Wie groß die Gefahr für eine neue Pandemie ist, was jetzt getan werden müsste und wie der Stand des Wissens ist, erklärt der Mediziner Harald Renz im Interview.
Es ist keineswegs neu, dass sich Vogelgrippeviren an Säugetiere anpassen und schließlich schwerwiegende Ausbrüche und Pandemien beim Menschen auslösen – darunter die verheerende Influenza-Pandemie von 1918, aber auch spätere Grippewellen. Seit einigen Jahren ist wieder ein aviäres Influenza-Virus unterwegs: H5N1. Der besonders aggressive Stamm dieses Vogelgrippevirus hat sich bereits weltweit ausgebreitet und Millionen Wild- und Nutzvögel sowie Meeressäuger getötet. Besondere Sorge macht jedoch, dass das Virus inzwischen auch massenhaft Milchkühe in den USA sowie vereinzelt Menschen befallen hat und auch Säugetiere wie Mäuse und Frettchen infizieren kann.
Was dies für die weitere Entwicklung bedeuten könnte und welche Maßnahmen jetzt nötig sind, erklärt der Mediziner Harald Renz von der Universität Marburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) .
Wie besorgt sind Sie über die Entwicklung der Vogelgrippe in den USA?
Harald Renz: Die Vogelgrippe wird durch Influenzaviren ausgelöst, und zwar durch ganz bestimmte Erreger der H5-Familie, die Vögel infizieren. Deswegen spricht man auch von einer aviären Influenza. Diese Viren können auf Säugetiere überspringen. Jetzt hat man sie bei fleischfressenden Säugern wie Ottern, Robben, Katzen und Füchsen gefunden.
Dies betrifft die H5N1-Variante. Jüngst wurde diese Variante auch in Milchkühen gefunden, und zwar im Euter. So gelangt das Virus in die Milch. So lange die Milch pasteurisiert ist, macht das nichts. Aber Rohmilch sollte man nicht verzehren.
Die Frage, die sich demnach stellt, lautet: Kann sich das H5N1-Virus vom Tier auf den Menschen übertragen? Hier gibt es bisher nur wenige Fälle. Man muss allerdings sagen, dass H5N1 nicht neu ist. In den letzten 20 Jahren sind weltweit etwa 500 Todesfälle beobachtet worden. Das Gefährliche dabei ist allerdings die hohe Sterblichkeit. Knapp die Hälfte der bekannten infizierten Menschen ist gestorben.
Also: Es sind wenige Menschen betroffen, aber wir beobachten eine hohe Letalität. Dass bislang nur wenige Menschen betroffen sind, liegt unter anderem auch daran, dass das Virus sich nicht von Mensch zu Mensch ausbreitet. Aber, und das macht diese Influenza-Viren so heimtückisch: Sie zeigen eine hohe genetische Variabilität.
Was bedeutet das?
Die Erreger können sich sehr schnell verändern. Und das ist eben das Gefährliche.
Warum das?
Weil möglicherweise Varianten auftreten, die nach wie vor eine hohe Letalität aufweisen, aber dazu noch in der Lage wären, sich von Mensch zu Mensch übertragen zu lassen – und das dann vielleicht noch über Aerosole. Neben H5N1 gibt es auch noch H5N2. Hier ist im Juni ein Todesfall in Mexiko berichtet worden, der relativ prominent medial aufgearbeitet wurde. Allerdings: Nach bisherigen Erkenntnissen führt H5N2 zu weniger starken Symptomen. Sie sehen: Man muss das Ganze sehr genau im Auge behalten.
In einem Interview, das wir bereits 2004 für den „SPIEGEL Online“ führten, warnte der damalige Leiter des Schweizer Instituts für Virologie und Immunologie, Christian Griot, einerseits vor der Möglichkeit einer Mutation von H5N1. Gleichzeitig hielt er – ebenso wie die CDC und WHO heute – das Risiko einer Pandemie für gering. Tatsächlich kam es in den vergangenen 20 Jahren zu keiner Vogelgrippe-Pandemie. Trotzdem: Worauf sollen die Menschen im Land heute achten?
Vor allem sollte man sich fernhalten von kranken Vögeln und von Kadavern, ebenso von Ausscheidungen von Vögeln.
Unstrittig ist, dass Menschen mit täglichem Kontakt zu infiziertem Geflügel einem Risiko ausgesetzt sind. Im Volksmund heißt die Tierseuche ja auch Geflügelpest…
…und daher sind natürlich einmal allgemeine Schutz- und Hygienemaßnahmen enorm wichtig. Zudem ist es wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn auf Geflügelfarmen Tiere erkranken und gegebenenfalls auch versterben. Kurzum: Es braucht ein intensives Virus-Monitoring.
Und welche Schutzmaßnahmen können Mitarbeiter in Geflügelfarmen hierzulande treffen? Hilft die FFP2-Maske?
Eine Aerosolübertragung, wie wir das zum Beispiel bei Corona gesehen haben, spielt derzeit bei der Vogelgrippe keine Rolle. Aus den oben genannten Gründen heraus, noch einmal meine Empfehlung: Fernhalten von Ausscheidungen von Vögeln, von kranken Tieren und von Kadavern.
Und was können Wissenschaft, Medizin und Politik tun?
Wichtig ist jetzt, das Verhalten des Virus engmaschig und flächendeckend zu überprüfen. Dazu gehört beispielsweise, bei H5N1, die Untersuchungen der Milch. Das erinnert mich ein bisschen an die Abwasseruntersuchungen in Bezug auf Corona. Nur spielt im Fall der Vogelgrippe das Abwasser nicht so die Rolle, sondern die Milch der Tiere.
Nun sind die Symptome im Falle einer Infektion am Anfang nur wenig von jenen einer Influenza zu unterscheiden. Was sollte man jetzt machen, um den Erreger notfalls rechtzeitig eindämmen zu können?
Das Virus im Auge behalten, um frühzeitig festzustellen, welche Mutationen sich durchsetzen. Schauen, ob diese Mutationen mit einer erhöhten Übertragung des Virus von Tier auf Mensch, oder sogar von Mensch zu Mensch assoziiert sind. Und die Gefahrenherde dann entsprechend eindämmen.
Parallel sollte man sich darauf vorbereiten, dass im Zweifelsfall ausreichende Testkapazitäten zur Verfügung stehen, denn wenn es hier zur entsprechenden Ausbreitung und aggressiven Varianten kommt, kann das sehr schnell gehen.
Wären, zumindest vor Geflügelhöfen, Testzentren für die Mitarbeiter eine Option?
Es ist jetzt zunächst einmal wichtig, die Ausbreitung des Virus im Tierreich zu monitorieren und zu überprüfen. Und bei dem Auftreten von vermehrten menschlichen Krankheitsfällen vorbereitet zu sein, was entsprechende Teststrategien anbelangt.
Würden dann im Falle eines positiven Antigentests, ähnlich dem Vorgehen während der Covid-19 Pandemie, PCR-Tests folgen müssen?
Das entsprechende Alarmsystem ist oben skizziert. Parallel müssen aber Kapazitäten aufgebaut und vorgehalten werden, für den Fall, dass es zu einer dramatischen Ausbreitung kommt. Insbesondere von Varianten, die gefährliche Verläufe nach sich ziehen.
Wir vertrauen zwar der Expertise von CDC und WHO. Allerdings hat der Virologe Christian Drosten nicht ganz unrecht, wenn er die zu späte Erkennung einer Pandemie, sofern sie ausbrechen sollte, befürchtet. Welches Überwachungssystem könnte die DGKL dem Bundesgesundheitsministerium empfehlen, um quasi ein Alarmsystem aufzubauen?
Wichtige Aspekte sind ein intensives Labor-Umweltmonitoring, der Aufbau einer Teststrategie für den Fall eines Ausbreitens des Erregers, eine vertiefte Sequenzierung der Viren sowie eine besondere Überprüfung von Risikopopulationen wie zum Beispiel Mitarbeitenden auf Geflügelfarmen et cetera.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). Das Interview führten Marita Vollborn und Vlad Georgescu.