Hartnäckiger Mikrobenverbund: Karies wird normalerweise durch Bakterien verursacht und ein Befall kann ernste Folgen bis hin zum Zahnverlust haben. Forschende haben jetzt allerdings entdeckt, dass sich diese Bakterien auch mit Pilzen zusammentun können und dadurch eine Art Superorganismus bilden, der noch schwerer abzutöten ist als die Bakterien alleine. Diese Lebensgemeinschaft macht den Organismus außerdem beweglich, sodass er über die Zähne „kriechen“ oder sogar „hüpfen“ kann.
Mikroorganismen schließen sich häufig in multizellulären Strukturen, sogenannten Biofilmen, zusammen. Weit verbreitet sind Biofilme aus Bakterien und Pilzen, die durch diese Lebensgemeinschaft virulenter und überlebensfähiger werden. Für den Menschen sind bakterielle Biofilme gefährlich, weil das Immunsystem die darin lebenden Erreger kaum erreichen und bekämpfen kann. Auch Karies wird durch solche Biofilme verursacht. Wenn nach dem Essen Zucker im Mund verbleibt, dient er als Nahrung für dort lebende Bakterien und Pilze. Diese lagern sich dann als säureproduzierender Biofilm auf den Zähnen ab und zerstören den Zahnschmelz.
Zufälliger Fund im Speichel von Kleinkindern
Wenn sich Bakterien der Art Streptococcus mutans mit dem Hefepilz Candida albicans verbünden, werden sie zu einem noch hartnäckigeren Gegner für das menschliche Immunsystem. Dass diese Lebensgemeinschaften in unserem Mund und auf den Zähnen existieren, haben Zhi Ren von der University of Pennsylvania und seine Kollegen zufällig entdeckt. Sie untersuchten Speichelproben von Kleinkindern, die unter aggressiver Karies litten.
„Unter dem Mikroskop haben wir festgestellt, dass die Bakterien und Pilze Verbände bilden und Bewegungen entwickeln, die wir ihnen nie zugetraut hätten. Es ist fast wie ein neuer Organismus – ein Superorganismus – mit neuen Funktionen“, so Rens Kollege Hyun Koo. Daraufhin untersuchten die Forschenden, wie sich dieser „Superorganismus“ auf Zahnoberflächen verhält. Sie stellten das Szenario nach, indem sie Bakterien, Pilze und zahnähnliches Material in menschlichem Speichel vermehrten und dann mit Echtzeit-Live-Mikroskopie beobachteten.
„Gehende“ und „hüpfende“ Fortbewegung
Die Analysen ergaben: Die Lebensgemeinschaft auf unseren Zahnoberflächen besteht aus Bakterienclustern, die in einem Netzwerk aus Pilzhefen und fadenförmigen Ausstülpungen, den Hyphen, verankert sind. Beides ist in ein klebstoffähnliches Material, ein extrazelluläres Polymer, eingebettet. Auf der Zahnoberfläche angesiedelt, führt dieser Klebstoff dazu, dass die Strukturen nur „schwer zu entfernen oder abzutöten sind“, erklärt Ren.
Eine weitere interessante Eigenschaft dieser Lebensgemeinschaften ist die Art, wie sie sich ausbreiten. Auf sich gestellt, können sich weder die Pilze noch die Bakterien bewegen. Im Doppelpack zeigten sie laut Ren aber „‚hüpfende‘ und ‚gehende‘ Bewegungen, während sie kontinuierlich wuchsen.“ Dafür nutzen sie – entgegen aller anderen bekannten Arten der Mikroben-Fortbewegung – die Pilzhyphen. Damit verankern sich die Bakterien-Pilz-Gebilde auf den Zähnen und transportieren so die Keime quasi „per Anhalter“ über die Oberfläche, sagt Koo.
Überraschend schnelle Ausbreitung
Doch nicht nur das: Diese Bewegungen sind mit Geschwindigkeiten von mehr als 40 Mikrometern pro Stunde auch überdurchschnittlich schnell. Ein vergleichbares Tempo haben etwa Fibroblasten, menschliche Zellen, die an der Wundheilung beteiligt sind. Die Wissenschaftler beobachteten aber nicht nur kontinuierliches Wachstum, sondern auch deutliche Sprünge von mehr als 100 Mikrometern.
„Das ist mehr als das 200-fache ihrer eigenen Körperlänge“, setzt Hauptautor Ren diese Werte in Relation, „Laubfrösche und Heuschrecken können beispielsweise etwa das 50-fache bzw. das 20-fache ihrer eigenen Körperlänge nach vorne springen.“ Verbreitet sich der Biofilm aus Pilzen und Bakterien mit diesen Geschwindigkeiten auf menschlichen Zähnen, trägt dies zur Kariesausbreitung bei und kann den Zahnschmelz schnell und aggressiv zerstören.
Erkenntnisse weit über Karies hinaus anwendbar
Da beide Komponenten der mikrobiellen Verbindung zunächst im Speichel vorkommen, bevor sie gemeinsam die Zahnoberfläche besiedeln, könnte bereits dort der Ansatz für eine wirksame Therapie liegen, wie das Team erklärt. Dafür müsste man etwa mit entsprechenden Enzymen oder pilzabtötenden Substanzen verhindern, dass die Verbindung überhaupt erst entsteht.
Auch fernab des Zahnarztstuhles könnten die Entdeckungen von Ren und seinen Kollegen relevant sein. Sie könnten sich etwa auf andere Biofilme aus Bakterien und Pilzen übertragen lassen, die Infektionskrankheiten oder Umweltverschmutzungen verursachen. Ebenso könnten die Ergebnisse mehr darüber enthüllen, wie sich einst Mutualismus und Multizellularität im Zuge der Evolution entwickelten, um als Einheit den Widrigkeiten der Umwelt besser trotzen zu können, wie das Team erklärt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2209699119)
Quelle: University of Pennsylvania