Wachsende Bedrohung: Mehr als die Hälfte aller bekannten Infektionskrankheiten sind durch den Klimawandel bereits häufiger geworden, wie eine Studie enthüllt. Demnach begünstigen Erwärmung, Überschwemmungen, Dürren oder Hitze schon jetzt 277 verschiedene Krankheiten. Die Klimafolgen fördern die Vermehrung und Ausbreitung der Erreger und ihrer tierischen Überträger, bringen aber auch Mensch und Tier vermehrt in Kontakt zueinander, wie die Forschenden im Fachjournal „Nature Climate Change“ berichten.
Ob Tigermücke, Asiatische Buschmücke oder exotische Zeckenarten: Mit den milderen Wintern und wärmeren Sommern etablieren sich bei uns immer mehr ursprünglich im Süden vorkommende Tierarten – und bringen die von ihnen übertragenen Krankheitserreger mit. Schon jetzt wurden erste Fälle des von Mücken übertragenen West-Nil-Virus oder durch Zeckenbisse verursachten Fleckfiebers in Deutschland registriert. Gleichzeitig vermehren sich in der Ostsee und anderen Gewässern zunehmend wärmeliebende Keime wie der Cholera-Erreger.
Verschlimmerung bei 58 Prozent der Infektionskrankheiten
Wie stark sich der Klimawandel schon jetzt auf Infektionskrankheiten weltweit auswirkt, haben nun Camilo Mora von der University of Hawaii in Manoa und seine Kollegen untersucht. Dafür werteten sie die Ergebnisse von 830 Studien aus aller Welt zu allen 375 bekannten Infektionskrankheiten aus, die in offiziellen Listen der Gesundheitsorganisationen aufgeführt sind. Dazu gehörten direkt von Mensch zu Mensch übertragene Infektionen ebenso wie über das Trinkwasser, Lebensmittel oder tierische Überträger vermittelte Erreger.
Das Ergebnis: Schon jetzt zeigt sich ein deutlicher Effekt des Klimawandels und der von ihm verursachten Wetterextreme auf krankmachende Erreger und ihre Überträger. „Von 375 Infektionskrankheiten, für die ein Befall des Menschen dokumentiert ist, wurden 218 bereits durch Klimarisiken verschlimmert“, berichten Mora und seine Kollegen. „Dies entspricht 58 Prozent aller bekannten humanpathogenen Infektionskrankheiten.“ In ihrer Verbreitung und Häufigkeit negativ beeinflusst wurden hingegen nur neun Prozent aller von Pathogenen verursachten Krankheiten.
Die Effekte des Klimas sind dabei vielfältig: „Wir haben 1.006 einzigartige Arten identifiziert, durch die Klimafolgen über verschiedenste Übertragungsformen zu Fällen von pathogenen Krankheiten führen“, erklärt das Team.
Wärme, Fluten und Niederschläge mit größtem Effekt
Den größten Einfluss hat dabei die Erwärmung, von der den Daten zufolge bereits 160 Krankheiten profitiert haben. Beispiele sind Infektionen wie Zika, Dengue, Malaria, Chikungunya, die Pest oder das West-Nil-Fieber, bei denen sich die Überträgertiere dank der Erwärmung in neue Gefilde ausbreiten konnten. In Binnengewässern und Meeren fördert die Erwärmung die Vermehrung von Bakterien wie dem Choleraerreger Vibrio cholerae oder krankmachenden Amöben.
Gut 120 Krankheiten profitieren zudem von Niederschlagsveränderungen sowie Überschwemmungen. Dazu gehören ebenfalls viele von Mücken oder wasserlebenden Erregern verbreitete Krankheiten, aber auch Infektionen, deren Erreger von Nagetieren übertragen werden wie das Hantavirus oder die Pest. Wenn diese Tiere wegen günstiger Bedingungen Massenvermehrungen erleben oder widrigen Bedingungen ausweichen müssen, steigt für Menschen in ihrem Verbreitungsgebiet das Infektionsrisiko.
Tauendes Eis als „Büchse der Pandora“
Eine besondere, noch kaum erforschte Bedrohung könnten zudem Krankheitserreger sein, die sich in den dauerhaft gefrorenen Böden des arktischen Permafrosts verbergen. „Das Auftauchen von solchen eingefrorenen Pathogenen könnte eine Büchse der Pandora darstellen, angesichts des potenziell großen Pools von Erregern, die sich dort angesammelt haben und die für die heutigen Menschen völlig neu sein könnten“, warnen Mora und seine Kollegen.
Ein Vorgeschmack dafür sei ein Anthrax-Ausbruch in der Arktis, der anhand genetischer Analysen auf Bakterien aus einem vom auftauenden Permafrost freigelegten Tierkadaver zurückgeführt wurde. Wie lange Erreger im Eis überdauern können, demonstrierten Wissenschaftler im Jahr 2014, als sie mehrere 700 Jahre im Arktiseis konservierte Viren reaktivierten und wieder infektiös machten. Eingefrorene Rädertierchen wurden sogar nach 24.000 Jahren im Eis wieder lebendig.
Mehr Kontakt zwischen Mensch und tierischen Überträgern
Der Klimawandel begünstigt die Übertragung von Krankheiten aber auch dadurch, dass er Mensch und potenzielle Überträger verstärkt in Kontakt bringt. So können Waldbrände, Dürren oder Überflutungen Fledermäuse, Nagetiere und andere Wildtiere näher an menschliche Siedlungen herantreiben. Umgekehrt können diese Klimafolgen dazu führen, dass Menschen ihre Nutztiere in zuvor unberührte Lebensräume wie Wälder treiben oder diese Habitate für die Landwirtschaft oder als Siedlungsgebiet nutzen.
„Solche klimabedingten Landnutzungsänderungen haben das Vordringen des Menschen in wilde Gebiete begünstigt und zahlreiche Ausbrüche von Krankheiten wie Ebola, Malaria, Tsutsugamushi-Fieber, Lyme-Borreliose und australisches Zeckentyphus ausgelöst“, schreiben Mora und seine Kollegen. Parallel dazu können Klimafolgen wie Hitze oder Wetterkatastrophen auch die menschliche Abwehr schwächen und sie so anfälliger für Infektionen machen.
„Enormes Ausmaß gesundheitlicher Bedrohung“
„Die schiere Menge der pathogenen Krankheiten und Übertragungswege, die durch Klimarisiken verschlimmert werden, enthüllt das Ausmaß der gesundheitlichen Bedrohung, der wir Menschen durch den Klimawandel ausgesetzt sind“, konstatieren die Wissenschaftler. Umso wichtiger sei es, den Klimawandel durch eine Verringerung der Treibhausgasemissionen zu bremsen.
Ähnlich sieht es der nicht an der Studie beteiligte Virologe Renke Lühke vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg: „Die Studie zeigt eindrücklich, dass viele unterschiedliche Übertragungspfade einen Einfluss auf diverse Krankheitserreger haben. Diese Vielschichtigkeit macht eine gesellschaftliche Anpassung sehr schwierig, so dass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als wichtigste Gegenmaßnahme weiter im Fokus stehen muss.“ (Nature Climate Change, 2022, doi: 10.1038/s41558-022-01426-1)
Quelle: Nature Climate Change