Medizin

Koffein-Abbauprodukt bremst Kurzsichtigkeit

Wirkstoff 7-MX verringerte Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei dänischen Kindern

kurzsichtiges Kind
Bisher gibt es kein Mittel, das die Kurzsichtigkeit vollständig aufhalten kann. © Andrey_Kuzmin/ Getty images

Ein natürliches Abbauprodukt des Koffeins kann offenbar das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern bremsen. In einer Langzeitstudie mit gut 700 dänischen Kindern hemmte der Wirkstoff 7-MX das übersteigerte Wachstum des Augapfels. Als Folge nahm die Kurzsichtigkeit dieser Kinder weniger stark zu als das von unbehandelten Kindern gleichen Alters. Dies legt nahe, dass der bereits 2009 von der dänischen Gesundheitsbehörde zugelassene Wirkstoff die Kurzsichtigkeit zumindest bremsen kann.

Fast 50 Prozent der Menschen in Europa sind kurzsichtig – und es werden immer mehr. Die Fehlsichtigkeit entsteht, wenn der Augapfel von Kindern zu stark in die Länge wächst und so das von der Augenlinse erzeugte Bild vor der Netzhaut entsteht. Als Ursachen gelten neben einer genetischen Veranlagung vor allem häufiges Lesen, am Computer sitzen und andere mit einem nahen Fokussieren verknüpfte Tätigkeiten. Gegensteuern kann man dagegen mit möglichst viel Aufenthalt im Freien, weil die UVB-Strahlung der Sonne das Augapfel-Wachstum bremst.

Wie sich jetzt zeigt, könnte auch ein natürliches Abbauprodukt des Koffeins die fortschreitende Kurzsichtigkeit bei Kindern bremsen. Das 7-Methylxanthin (7-MX) entsteht, wenn Koffein im menschlichen Körper verstoffwechselt wird. Im Gegensatz zum Koffein kann 7-MX die Blut-Hirn-Schranke jedoch kaum durchdringen und entfaltet daher keine wachmachende Wirkung. Selbst in relativ hoher Dosierung gilt es als unschädlich und verträglich.

Bremse für das Augapfel-Wachstum?

Das Interessante jedoch: In Versuchen mit Meerschweinchen, Kaninchen und Rhesusaffen zeigte 7-MX schon vor einigen Jahren eine deutliche Wirkung auf das Wachstum des Augapfels. Das Koffein-Abbauprodukt fördert offenbar die Stabilisierung der Lederhaut durch Kollagenfasern und wirkt so der Ausdehnung des Augapfels entgegen. Im Jahr 2008 zeigte auch eine einjährige Pilotstudie mit 42 kurzsichtigen Kindern erste vielversprechende Ergebnisse: Bei Gabe von 400 Milligramm 7-MX täglich verschlimmerte sich die Kurzsichtigkeit etwas langsamer, auch der Augapfel der Kinder wuchs weniger.

Was dies auf längere Sicht für die Kinder bedeutet, zeigt nun eine erste Langzeitstudie von Klaus Trier vom Trier-Forschungszentrum im dänischen Hellerup und seinen Kollegen. Sie untersuchten in der Zeit von 2000 bis 2021 die Augenentwicklung von 711 Kindern im Alter von sieben bis 15 Jahren. Alle Kinder waren zu Beginn der Studienzeit schon kurzsichtig, ihre Dioptrienzahl lag zwischen -0,5 und -9. 624 dieser Kinder nahmen über mehrere Jahre hinweg täglich zwischen einer und drei Tabletten mit 400 Milligramm 7-MX ein.

Messbarer dosisabhängiger Effekt

Das Ergebnis: Bei den Kindern, die regelmäßig 7-MX eingenommen hatten, schritt die Kurzsichtigkeit langsamer fort. Ihr Augapfel wuchs weniger und ihre Dioptrienzahl stieg in geringerem Maße. Dabei zeigte sich dieser bremsende Effekt umso deutlicher, je höher die tägliche Dosis des Wirkstoffs war und je früher mit der Behandlung begonnen wurde. Gleichzeitig berichtete keines der Kinder von Nebenwirkungen durch die Einnahme des Koffeinabbauprodukts, wie das Team berichtet.

Konkret ergaben die modellgestützten Auswertungen: „Ein anfangs siebenjähriges Kind mit einer Ausgangs-Kurzsichtigkeit von -2,43 Dioptrien wird ohne Behandlung im Laufe der nächsten sechs Jahre rund -3,49 Dioptrien dazu bekommen“, berichten Trier und sein Team. Mit einer täglichen Dosis von 1.000 Milligramm 7-MX wären es dagegen nur -2,65 Dioptrien mehr. Ähnliches gilt für das Augapfel-Wachstum: Ohne Behandlung nähme die Länge des Auges bei diesem Kind um 1,80 Millimeter in sechs Jahren zu, mit 7-MX wären 1,63 Millimeter.

„Könnte klinisch bedeutsam sein“

Die Ergebnisse bestätigen damit die Resultate der Pilotstudie und legen nahe, dass 7-MX das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern zumindest bremsen kann. Nach Angaben des Forschungsteams ist der Effekt sogar noch etwas stärker als bei bisherigen Ansätzen wie beispielsweise Atropin-Augentropfen. „Eine Wirksamkeit in diesem Bereich könnte klinisch bedeutsam sein, denn er verringert das Risiko für Myopie-bedingte Komplikationen“, erklären Trier und seine Kollegen. Eine starke Kurzsichtigkeit erhöht das Risiko für Netzhautrisse, Makuladegeneration und Grünen Star.

Allerdings räumen Trier und sein Team ein, dass ihre Beobachtungsstudie noch kein eindeutiger Beleg für eine Kausalität ist. Dafür müsste nun eine klinische Studie mit einem Placebo-Vergleich durchgeführt werden. Auch mögliche Einflussfaktoren wie Gene, Aufenthaltszeit im Freien und Lebensgewohnheiten wurden in der Langzeitstudie nur in Teilen erfasst. Dennoch sehen sie in 7-MX einen vielversprechenden Ansatz gegen die Myopie.

„Bisherige Interventionen gegen die Kurzsichtigkeit können nicht verhindern, dass Kinder eine starke Kurzsichtigkeit entwickeln“, sagt Trier. „Wenn die kausale Wirkung von 7-MX bestätigt wird, könnte es daher eine wertvolle Therapieergänzung sein.“ (British Journal of Ophthalmology, 2022; doi: 10.1136/bjo-2021-320920)

Quelle: BMJ

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