Ersatz für Opioide: Forscher könnten eine Alternative zu gängigen Opioid-Schmerzmitteln entdeckt haben – das Nervengift von Kugel- und Igelfischen. Das hochgiftige Tetrodotoxin wirkt eigentlich schon in geringen Mengen tödlich. Gebunden an ein biologisch abbaubares Polymer eignet es sich jedoch, um die Weiterleitung von Schmerzreizen zu unterbinden. Denn durch diese Verpackung wird das Gift im Körper nur ganz langsam und in winzigen Dosen frei – und ist dadurch sicher.
Ob im Rücken, Kopf oder den Gelenken: Millionen Menschen weltweit leiden unter starken chronischen Schmerzen. Vielen von ihnen helfen gängige Schmerzmittel längst nicht mehr. Nur Opioide können ihnen noch Linderung verschaffen. Diese Derivate des Opiums docken an bestimmte Rezeptoren in Rückenmark und Gehirn an und blockieren auf diese Weise die Weiterleitung von Schmerzreizen.
Doch der Einsatz der Mittel ist nicht unproblematisch. Denn Opioide machen innerhalb kürzester Zeit süchtig und eine Überdosis kann tödlich enden. In den USA hat die Verschreibung Opioid-basierter Schmerzmittel zu einer regelrechten Suchtwelle geführt – Experten sprechen von der Opioidkrise. Aus diesem Grund fahnden Forscher unter Hochdruck nach Alternativen für diese Schmerzmittel.
Opioidersatz gesucht
Nun könnte ein Team um Chao Zhao von der Harvard Medical School in Boston fündig geworden sein: bei Kugel- und Igelfischen. Diese Meeresbewohner produzieren das potente Nervengift Tetrodotoxin (TTX), das schwere Lähmungen bis hin zum Tod verursachen kann. Schon ein bis zwei Milligramm reichen aus, um einen erwachsenen Menschen ins Jenseits zu befördern.
Interessant daran: Tetrodotoxin wirkt, indem es für die Signalweiterleitung zuständige Natriumkanäle blockiert und kann auf diese Weise auch das Schmerzempfinden unterdrücken. In sehr geringen Mengen eignet sich das Gift somit möglicherweise als Analgetikum. Doch wie schafft man es, aus dem gefährlichen Mittel ein heilsames zu machen, ohne dem Patienten ständig eine neue Dosis verabreichen zu müssen?
Freisetzung in Mini-Dosen
Die Mediziner suchten nach einer Möglichkeit, das Tetrodotoxin ganz langsam und in winzigen Mengen in den Körper zu entlassen – und fanden eine Lösung: Sie verpassten dem Nervengift ein chemisches „Rückgrat“ in Form eines biologisch abbaubaren Polymers. Gebunden an diesen Stoff kann das Tetrodotoxin zunächst keinen Schaden anrichten. Erst nach und nach baut der Körper das Polymer über den Prozess der Hydrolyse ab. Dabei wird das Gift langsam und in sicheren Dosen frei.
Versuche mit Ratten bestätigten, dass dieser Vorgang nicht nur der Theorie nach funktioniert: „Wir injizierten Ratten eine Menge an Tetrodotoxin, die einen Nager im ungebundenen Zustand mehrmals töten könnte. Die Tiere schienen es jedoch nicht einmal zu bemerken“, berichtet Zhaos Kollege Daniel Kohane.
Erfolgreich blockiert
Um die Gabe des Nervengifts noch sicherer zu machen, kombinierten die Wissenschaftler ihr Tetrodotoxin-Polymer in einem zweiten Schritt mit einem Penetrationsverstärker. Dadurch wird der Wirkstoff vom Nervengewebe besser aufgenommen – so sind besonders niedrige Konzentrationen möglich. „Mit dem Enhancer werden Medikamentenkonzentrationen effektiv, die sonst keine Wirkung zeigen“, erklärt Kohane.
In einem weiteren Test injizierte das Forscherteam diese Kombination aus Gift, Polymer und Enhancer in den Ischiasnerv von Ratten. Es zeigte sich: In Konzentrationen zwischen einem und 80 Mikrogramm blockierte das Mittel den Nerv erfolgreich über einen längeren Zeitraum – von mehreren Stunden bis hin zu drei Tagen. Anzeichen für Gewebeschädigungen oder andere Nebenwirkungen gab es Zhao und seinen Kollegen zufolge keine.
Lange Wirkdauer
Bestätigen weitere Untersuchungen den Nutzen und die Sicherheit des Verfahrens, könnte Tetrodotoxin eines Tages bei Schmerzpatienten zum Einsatz kommen. Dabei ließe sich die Wirkdauer wahrscheinlich noch weiter erhöhen, wie Kohane vermutet. „Wir können uns eine lange Schmerzblockade von mehreren Tagen oder sogar Wochen vorstellen – zum Beispiel für Menschen mit Krebserkrankungen“, schließt er. (Nature Communications, 2019; doi: 10.1038/s41467-019-10296-9)
Quelle: Boston Children’s Hospital