Covid-19 und Long Covid könnten durch ein latent in uns schlummerndes Virus verstärkt werden – das Epstein-Barr-Virus (EBV). Dieses in 95 Prozent aller Menschen vorhandene Virus ist normalerweise inaktiv, scheint aber bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 reaktiviert zu werden, wie nun Analysen belegen. Demnach ist EBV in bis zu 90 Prozent der akuten Covid-19-Fälle und bei 73 Prozent der Long-Covid-Patienten aktiv. Das könnte einige Symptome von Long Covid erklären.
95 Prozent aller Menschen tragen das Epstein-Barr-Virus (EBV) in sich. Normalerweise bleibt dies folgenlos, nur bei einer Infektion erst im Jugend- oder Erwachsenenalter kann das Virus das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen. Aber selbst nach Abklingen dieser Krankheit bleibt der zu den Herpesviren gehörende Erreger lebenslang latent im Körper – meist unbemerkt. Durch Stress, Umwelteinflüsse oder Infektionen mit anderen Erregern kann es aber zu einer Reaktivierung von EBV kommen.
Diese Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus steht im Verdacht, an bestimmten Arten von Lymphdrüsen- und Nasen-Rachenkrebs, aber auch Autoimmunerkrankungen sowie dem chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) beteiligt zu sein.
Vermehrte EBV-Reaktivierung bei akutem Covid-19
Jetzt gerät EBV auch bei Covid-19 ins Visier der Mediziner. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auch das Epstein-Barr-Virus wieder aufweckt. Forschungsteams in China, Frankreich, Italien und Österreich haben eine EBV-Reaktivierung bei 78 bis 95 Prozent der Patienten mit akutem Covid-19 nachgewiesen. Diese Reaktivierung könnte an der Schwere des Covid-19-Verlaufs beteiligt sein.
Indizien dafür liefert unter anderem eine Studie aus Wuhan, in der Ting Chen vom Remnin Hospital und sein Team höheres Fieber und schwerere Entzündungssymptome bei Patienten mit einer Doppelbelastung durch SARS-CoV-2 und reaktiviertem EBV festgestellt haben. Auf Basis solcher Beobachtungen haben nun Forscher um Jeffrey Gold von der World Organization in den USA untersucht, welche Rolle die Reaktivierung von EBV bei Long Covid spielt.
EBV auch bei zwei Drittel der Long-Covid-Patienten
„Wir haben beobachtet, dass viele der mit Long Covid verknüpften Symptome denen sehr ähneln, die bei einer Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus auftreten können“, erklären die Forscher. Zu diesen gehören Fatigue, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Fieber, Hautauschläge, aber auch neurologische Störungen, die Patienten unter anderem als „vernebeltes Gehirn“ beschreiben. Für ihre Studie testete das Team 185 Patienten, deren positiver Corona-Test 90 Tage zurücklag, auf die für die Reaktivierung von EBV typischen Antikörper.
Das Ergebnis: Rund ein Drittel der Testpersonen zeigte drei Monate nach der Corona-Infektion typische Long-Covid-Symptome. Der Anteil der EBV-Reaktivierung lag bei diesen Patienten bei 66,7 Prozent, wie Gold und seine Kollegen berichten. Bei den Testpersonen ohne Spätfolgen lag der Anteil dagegen nur bei zehn Prozent. In einer zweiten Teilstudie fanden die Mediziner ähnlich erhöhte EBV-Werte bei Patienten, deren Coronavirus-Infektion erst einen Monat zurücklag.
Übereinstimmung auch bei den Symptomen
Nach Ansicht von Gold und seien Kollegen sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 auch eine Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus auslösen kann – und dass diese bei Long-Covid-Patienten noch Monate nach der Infektion anhalten kann. „Viele Symptome von Long-Covid könnten demnach gar keine direkte Folge von SARS-CoV-2 sein, sondern auf die von Covid-19 provozierte EBV-Reaktivierung zurückgehen“, konstatieren die Forscher.
Dafür könnten auch die Symptome sprechen, die die Long-Covid-Patienten in der Studie zeigten: „Am häufigsten klagten die Patienten mit Long Covid und aktivem EBV unter Erschöpfung, Kopfschmerzen, Muskelschwäche und Verwirrung“, berichten Gold und sein Team. Das seien typische EBV-Symptome. Auch Hautausschläge und Tinnitus kamen bei jeweils sieben Patienten vor – auch das komme bei EBV-Reaktivierung häufiger vor.
Gold und seine Kollegen vermuten daher, dass das Epstein-Barr-Virus zumindest zum Teil zu Long-Covid beiträgt. „Auch wenn die EBV-Reaktivierung nicht an allen Fällen von wiederkehrender Erschöpfung oder Hirnnebel nach Covid-19 schuld sein wird, die Daten deuten darauf hin, dass es bei vielen oder vielleicht sogar den meisten Fällen von Long Covid eine Rolle spielt“, schreibt das Team.
Neue Ansätze für die Therapie
Sollte sich dies bestätigen, könnte dies neue Ansätze für eine Therapie von Long-Covid eröffnen. Denn es gibt einige antivirale Mittel, die die Vermehrung der reaktivierten Epstein-Barr-Viren zumindest eindämmen können. In Wuhan hat eine Studien zudem schon gezeigt, dass eine Behandlung mit dem Anti-Herpesmittel Ganciclovir auch einigen Patienten mit schweren Verläufen von akutem Covid-19 helfen kann.
Diese Option sieht auch der nicht an der Studie beteiligte Virologe Lawrence Young von der University of Warwick: „Wenn eine direkte Rolle der EBV-Reaktivierung bei Long-Covid durch weitere Studien gestützt wird, dann bietet das die Chance auf eine bessere Diagnose von Long Covid, aber auch auf einen möglichen therapeutischen Nutzen von antiviralen Herpeswirkstoffen wie Ganciclovir“, so Young. (Pathogens, 2021; doi: 10.3390/pathogens10060763)
Quelle: World Organization