Brille auf der Nase als Zeichen von hoher Bildung? Eher umgekehrt: Ein höherer Bildungsabschluss bringt ein größeres Risiko für Kurzsichtigkeit und hat sogar größeren Einfluss als genetische Faktoren. Einer Studie deutscher Wissenschaftler zufolge steigt der Anteil der Kurzsichtigen mit jedem zusätzlichen Schuljahr messbar an. Die Forscher haben daher einen wichtigen Ratschlag für alle Studierenden: Weniger auf Bücher und Bildschirme starren, mehr Zeit bei Tageslicht im Freien verbringen.
Kurzsichtigkeit ist ein seit langem verbreitetes Gesundheitsproblem: Weit entfernte Objekte können dabei nur unscharf auf der Netzhaut abgebildet werden. Das liegt daran, dass der Augapfel bei kurzsichtigen Menschen im Verhältnis zur Linse zu lang ist. Mit zunehmendem Alter verstärkt sich die Kurzsichtigkeit meistens weiter, und bringt die Gefahr von schweren Folgeerkrankungen bis hin zu Blindheit mit sich.
Naharbeiten als Risikofaktor
Besonders in den letzten Jahren sind weltweit mehr und mehr Menschen kurzsichtig. Dieser geradezu sprunghafte Anstieg legt nahe, dass eher Lebensstil und Freizeitgestaltung verantwortlich sind als die bekannten genetischen Faktoren. Vor allem bei sogenannten Naharbeiten wie Lesen und Arbeit am Computer gibt es Hinweise auf verursachte Schäden an den Augen. Gerade diese Arbeitsformen sind jedoch zentraler Bestandteil in Schule und Studium.
Um einen möglichen Zusammenhang zwischen Bildung und Kurzsichtigkeit genauer zu analysieren, haben Forscher um Alireza Mirshahi von der Universitätsmedizin Mainz im Rahmen der Gutenberg Gesundheitsstudie 4.658 Personen im Alter von 35 bis 74 Jahren untersucht. Die Studienteilnehmer hatten zuvor alle keinerlei Augenoperationen oder Grauen Star, es gab also keine anderen Einflüsse auf ihre Sehkraft als genetische Faktoren und Lebensweise. Die Datenerhebung bestand aus einer fünfstündigen, detaillierten Untersuchung, standardisierten Interviews und Folgeuntersuchungen nach zweieinhalb und fünf Jahren.
Kurzsichtigkeit steigt mit jedem Schuljahr
Das Ergebnis: Kurzsichtigkeit tritt umso häufiger auf, je höher der Bildungsgrad ist. Nur 24 Prozent der Kurzsichtigen hatten keine Ausbildung oder höhere Schulbildung. Bei den Probanden mit Abitur oder Berufsabschluss waren bereits 35 Prozent kurzsichtig, und bei den Hochschulabsolventen ist es schon mehr als jeder zweite: 53 Prozent der Studienteilnehmer mit Studienabschluss wiesen eine Kurzsichtigkeit auf. Die Daten zeigten ebenfalls: Die Wahrscheinlichkeit, kurzsichtig zu werden, steigt mit jedem Schuljahr weiter an.
Darüber hinaus untersuchten die Forscher die Auswirkungen von 45 genetischen Faktoren. Diese beeinflussen die Kurzsichtigkeit ebenfalls merklich. Es stellte sich aber heraus, dass die erbliche Veranlagung im Vergleich zum Bildungsgrad einen weitaus geringeren Einfluss auf den Schweregrad einer Kurzsichtigkeit hat.
Häufiger im Freien spielen hilft
Wie kann der beobachteten Entwicklung nun entgegengewirkt werden? Heilen im herkömmlichen Sinne, also rückgängig machen und vollständig beseitigen, lässt sich Kurzsichtigkeit nicht. Sie lässt sich nur mit Sehhilfen oder mit chirurgischen Methoden korrigieren. Allerdings ist Kurzsichtigkeit meistens ein fortschreitender Prozess. Es gab zwar Versuche, dieses Fortschreiten mit Medikamenten, speziellen Brillengläsern oder Kontaktlinsen zu bremsen – diese waren jedoch bislang wenig erfolgreich.
Den Wissenschaftlern zufolge hilft daher nur, die Ursachen der Kurzsichtigkeit zu meiden oder zu verringern. Frühere Studien mit Kindern und jungen Erwachsenen in Dänemark und Asien haben gezeigt, dass mehr Aufenthalt im Freien und eine höhere Dosis an Tageslicht die Gefahr für Kurzsichtigkeit verringern: Mindestens 15 Wochenstunden Licht im Freien empfehlen die Mediziner. Außerdem sollten die Augen weniger als 30 Stunden pro Woche mit Lesen, Fernsehen, Computerarbeit, Smartphone oder ähnlichem verbringen.
Studien-Erstautor Mirshahi fasst zusammen: „Da Schüler und Studierende einem höheren Risiko ausgesetzt sind, an Kurzsichtigkeit zu erkranken, ist eine einfache und sinnvolle Präventionsmaßnahme, sie dazu anzuhalten, mehr Zeit im Freien zu verbringen.“
(Ophthalmology,2014; doi: 10.1016/j.ophtha.2014.04.017)
(Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 22.07.2014 – AKR)