Heilsamer Druck: Massagen können nicht nur Verspannungen lösen, sondern auch dabei helfen, verletztes Muskelgewebe zu regenerieren. Das haben Forscher nun an Mäusen nachgewiesen und zugleich den Mechanismus geklärt. Im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ berichten sie, dass durch die mechanische Belastung entzündungsfördernde Botenstoffe und Immunzellen rasch aus dem Gewebe entfernt werden, was die Heilung erleichtert.
Massagen wirken wohltuend und entspannend. Allein die Berührung kann bereits zur Ausschüttung von Glückshormonen führen. Für nach dem Sport überanstrengte Muskeln wurde bereits nachgewiesen, dass eine Massage sogar ähnlich wirkt wie ein Schmerzmittel. Bei schwereren Muskelverletzungen, etwa durch Unfälle oder Operationen, sind bislang allerdings in vielen Fällen chirurgische Eingriffe erforderlich, bei denen Gewebe aus einem gesunden Muskel an die verletzte Stelle gebracht wird.
Massageroboter ermöglicht Standardisierung
Ein Team um Bo Ri Seo von der Harvard University in Cambridge hat nun an Mäusen gezeigt, dass regelmäßige Massagen auch bei schweren Muskelschäden heilsam wirken können. „Viele Forschungsgruppen haben versucht, die positiven Auswirkungen von Massagen und anderen mechanischen Therapien auf den Körper zu untersuchen, aber bisher ist dies nicht auf systematische, reproduzierbare Weise geschehen“, sagt Seo.
Statt auf manuelle Therapien zu setzen, die sich schlecht standardisieren lassen, entwickelte ihr Team daher ein spezielles Robotersystem, das mit einer weichen Silikonspitze genau einstellbare Druckkräfte ausübt und die Wirkung gleichzeitig per Ultraschall überwacht. „Das Gerät, das wir entwickelt haben, ermöglicht es uns, Parameter wie die Stärke und Häufigkeit der Krafteinwirkung präzise zu steuern und so einen viel systematischeren Ansatz zum Verständnis der Gewebeheilung zu finden, als dies mit einem manuellen Ansatz möglich wäre“, sagt Seos Kollege Christopher Payne.
Kräftigere Muskeln nach Massage
Für ihr Experiment fügten die Forscher zunächst Mäusen schwere Muskelverletzungen an einem Hinterbein zu. In den folgenden 14 Tagen behandelten sie einen Teil der Mäuse zweimal täglich mit standardisierten Massagen des verletzten Beins. Eine andere Gruppe blieb unbehandelt und diente als Kontrolle.
Das Ergebnis: „Die Krafteinwirkung führte zu einer erheblichen Reduktion beschädigter Muskelfasern“, so die Forscher. „Die Querschnittsfläche der Muskelfasern, die ein Indikator für Muskelwachstum und Kontraktionskraft ist, war bei den behandelten Tieren durchweg größer als bei den unbehandelten.“
Entzündungsfaktoren aus dem Gewebe verdrängt
Doch auf welche Weise wirkt die Massage? Um das herauszufinden, analysierten die Forscher in den behandelten und unbehandelten Muskeln verschiedene Entzündungsfaktoren, sogenannte Cytokine und Chemokine. Dabei zeigte sich, dass ein Cytokin, das bestimmte Immunzellen, sogenannte Neutrophile, anlockt, nach drei Tagen im massierten Gewebe in geringerer Konzentration vorlag als bei den unbehandelten Mäusen. Zudem ließen sich auch weniger Neutrophile im behandelten Gewebe nachweisen.
Basierend darauf entwickelte das Team die Vermutung, dass die durch die Mechanotherapie auf den Muskel ausgeübte Kraft die Neutrophilen und Cytokine aus dem verletzten Gewebe verdrängt. Das überprüften sie, indem sie fluoreszierende Moleküle in die Muskeln injizierten und sie mit und ohne Massage beobachteten. Tatsächlich war die Bewegung der Moleküle bei Krafteinwirkung ausgeprägter, was die Annahme der Forscher bestätigt.
Neutrophile: Erst hilfreich, dann hinderlich
Weitere Analysen enthüllten dann den Zusammenhang von Massage, Neutrophilen und der Muskelheilung. „Neutrophile sind dafür bekannt, dass sie Krankheitserreger und geschädigtes Gewebe abtöten und beseitigen, aber in dieser Studie konnten wir ihre direkten Auswirkungen auf das Verhalten von Muskelvorläuferzellen nachweisen“, sagt Seos Kollegin Stephanie McNamara. Dafür züchteten die Forscher im Labor Muskelvorläuferzellen in einem Nährmedium mit oder ohne Neutrophile.
Es zeigte sich: In Anwesenheit von Neutrophilen nahm zwar die Anzahl der Muskelvorläuferzellen zu, doch die Rate, mit der sie sich zu ausgereiften Muskelzellen differenzierten, nahm ab. Neutrophile können demzufolge das Wachstum von Muskelzellen anregen. Ihre anhaltende Anwesenheit kann allerdings die Bildung neuer Muskelfasern beeinträchtigen. Das bestätigten die Forscher, indem sie einer weiteren Gruppe von Mäusen drei Tage nach der Verletzung Antikörper verabreichten, die die Neutrophilen aus dem verletzten Gewebe entfernten. Tatsächlich heilten die Muskeln dieser Tiere ähnlich gut wie bei den Mäusen aus der Massagegruppe.
„Während die Entzündungsreaktion in der Anfangsphase der Heilung wichtig für die Regeneration ist, ist es ebenso wichtig, dass die Entzündung schnell abklingt, damit die Regenerationsprozesse ihren vollen Lauf nehmen können“, sagt McNamara.
Immunsystem durch Massagen beeinflussen
„Diese Ergebnisse sind bemerkenswert, weil sie darauf hinweisen, dass wir die Funktion des körpereigenen Immunsystems auf medikamentenfreie, nicht-invasive Weise beeinflussen können“, sagt Seos Kollege Conor Walsh. „Das ist eine große Motivation für die Entwicklung externer, mechanischer Therapien zur Beschleunigung und Verbesserung der Muskel- und Gewebeheilung, die das Potenzial haben, schnell klinische Anwendung zu finden.“
In zukünftigen Studien wollen die Forscher ihre Technik an größeren Tieren validieren, um sie schließlich am Menschen testen zu können. (Science Translational Medicine, 2021, doi: 10.1126/scitranslmed.abe8868)
Quelle: Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering at Harvard