Bedenkliche Diskrepanzen: Nur die wenigsten Arzneimittel-Studien werden vollständig und ohne Abweichungen veröffentlicht. Das belegt jetzt ein Vergleichstest von US-Forschern. Von 96 veröffentlichten klinischen Studien berichteten nur 3 vollständig und ohne Abweichungen über Methodik und Ergebnisse. Die Diskrepanzen betrafen auch so entscheidende Dinge wie die Dosierung und die Wirkung der getesteten Medikamente. Das wirft kein gutes Licht auf die Transparenz solcher Arzneimitteltests, so die Forscher im Fachjournal „JAMA“.
Ohne Klinische Studien keine Zulassung für ein Medikament. Erst diese letzten Wirkstofftests mit Patienten belegen, ob ein Mittel tatsächlich wirkt und nicht schadet. Entsprechend streng sind die Regeln, zu denen auch eine maximale Transparenz gehört – eigentlich. Sowohl die Details der Methodik als auch der Probandenauswahl und natürlich die Ergebnisse samt Nebenwirkungen müssen publik gemacht werden.
29 Prozent werden nie publiziert
Bei Medikamenten, die in den USA zugelassen werden sollen, müssen diese Informationen in der Datenbank ClinicalTrials.gov eingetragen werden. Zusätzlich sollten die Ergebnisse auch in Fachzeitschriften veröffentlicht werden, damit andere Forscher sie nachvollziehen und überprüfen können.
Allerdings: Schon seit Jahren kritisieren Forscher, dass vor allem Pharmaunternehmen dazu neigen, Arzneimitteltests mit unliebsamen Ergebnissen gar nicht erst oder unvollständig zu veröffentlichen. Erst 2013 wiesen US-Forscher nach, dass von 585 großen randomisierten Studien mit mindestens 500 Teilnehmern, die bis Anfang 2009 abgeschlossen waren, 171 nie veröffentlicht worden waren – immerhin 29 Prozent.
Wie verlässlich sind die publizierten Ergebnisse?
Die nächste Frage ist allerdings, wie verlässlich selbst die veröffentlichten Ergebnisse von Arzneimittel-Studien wirklich sind. Diese Frage haben Jessica Becker von der Yale University School of Medicine in New Haven und ihre Kollegen nun untersucht. „Unseres Wissens nach hat das bisher niemand geprüft“, so die Forscher.
Für ihre Studie suchten die Wissenschaftler 96 Studien aus der ClinicalTrials.gov-Datenbank heraus, deren Ergebnisse zwischen 2010 und 2011 in hochrangigen Fachjournalen veröffentlicht wurden. Sie verglichen, ob die in beiden Quellen publizierten Informationen zu Probanden, Methodik, Dosierung und Wirkungen in Datenbank und Publikation übereinstimmten. 70 Prozent der untersuchten Studien waren von Pharmaunternehmen durchgeführt oder beauftragt worden.
Abweichungen sind die Regel
Das Ergebnis: Bei 93 der 96 untersuchten Studien fanden Becker und ihre Kollegen mindestens eine Diskrepanz. So unterschieden sich bei bis zu 22 Prozent der Studien die Angaben über die Methodik, darunter waren so entscheidende Informationen wie die Dosierung, die Häufigkeit der Einnahme oder die Dauer der Gesamtbehandlung. Auch die Anzahl der Studienabbrecher wurde in den Publikationen oft nicht erwähnt oder verändert, wie die Forscher berichten.
Unterschiede fanden die Forscher auch bei den sogenannten primären Endpunkten – den Parametern, die bei einer Studie gemessen werden, um daran die medizinische Wirkung eines Präparats festzumachen. Meist gibt es in einer Studie mehrere dieser Parameter, die als Vorher-Nachher-Werte getestet werden. Immerhin bei 16 Prozent dieser wichtigen Werte zeigten Datenbank-Eintrag und veröffentlichte Studie Diskrepanzen, wie Becker und ihr Team feststellten. Bei immerhin sechs Studien veränderte diese Diskrepanz die gesamte Aussage. Insgesamt wurden nur 52 Prozent der insgesamt 132 Endpunkte in beiden Quellen und mit übereinstimmenden Ergebnissen aufgeführt.
Kein gutes Licht auf gängige Praxis
„Studien, die in hochrangigen Journalen veröffentlicht werden, gehören normalerweise zu den qualitativ besten, denn diese Artikel müssen sich einer besonders strengen Begutachtung im Rahmen der Peer-Review unterziehen“, erklärt Becker. Aber selbst unter diesen Publikationen gibt es reichlich Abweichungen zu den Angaben in der ClinicalTrials-Datenbank, wie die Forscher nun belegen.
Das wirft kein gutes Licht auf die Verlässlichkeit und Vollständigkeit solcher Veröffentlichungen. „Denn die Studien in unserer Stichprobe repräsentieren höchstwahrscheinlich die Best-Case-Szenarios in Bezug auf die Qualität der Berichterstattung“, so die Forscher. Bei den unzähligen Studien, die in weniger renommierten Journalen erscheinen, könnte es noch sehr viel mehr Ungenauigkeiten und Auslassungen geben. „Es muss daher dringend etwas unternommen werden, um sicherzustellen, dass Studienergebnisse vollständig und korrekt veröffentlicht werden“, betonen Becker und ihre Kollegen. (JAMA, 2014; doi: 10.1001/jama.2013.285634)
(JAMA, 12.03.2014 – NPO)