Genetik

Menschliche Zellen: RNA zu DNA geht doch

Überraschende Fähigkeit eines menschlichen Enzyms stellt Dogma in Frage

Polymerase
Das Enzym Polymerase hilft unseren Zellen bei der Reparatur von DNA-Schäden. Entgegen gängiger Lehrmeinung kann es dafür auch RNA in DNA umwandeln. © selvanegra/ Getty images

Der gängigen Lehrmeinung nach können die Polymerase-Enzyme unserer Zellen nur DNA in RNA übersetzen, nicht andersherum. Doch das ist offenbar ein Irrtum, wie jetzt Experimente belegen. Denn das menschliche Enzym Polymerase theta kann auch RNA in DNA umkopieren und arbeitet damit ähnlich wie die Enzyme mancher Viren. Diese bislang unerkannte Fähigkeit der Polymerase könnte erklären, wie Erbgut-Fragmente des Coronavirus bei einer Infektion in unsre DNA gelangen.

Verschiedene Arten von Polymerasen sind in Zellen dafür zuständig, die DNA für die Zellteilung zu vervielfältigen, Schäden darin zu reparieren und die DNA in RNA zu übersetzen, die dann als Bauplan für Proteine dient. Bislang ging man davon aus, dass die Polymerasen als Vorlage immer DNA brauchen, die sie dann zu DNA oder RNA umschreiben. Die umgekehrte Richtung – RNA zu DNA – ist dagegen von einigen Viren bekannt, die dafür ein Enzym namens Reverse Transkriptase nutzen. Damit wandelt beispielsweise das HI-Virus die eigene RNA in DNA um, um sie ins menschliche Erbgut einzuschleusen.

Unerkannter Nebeneffekt der Polymerase

Ein Team um Gurushankar Chandramouly von der Thomas Jefferson University in Philadelphia hat nun erstmals nachgewiesen, dass auch eine menschliche Polymerase RNA-Segmente wieder in DNA zurückübersetzen kann. Die sogenannte Polymerase theta ist eigentlich für die Reparatur von DNA-Schäden verantwortlich, macht dabei allerdings außergewöhnlich viele Fehler. Im Gegensatz zu anderen Polymerasen fehlt ihr eine Korrekturlesefunktion – eine Eigenschaft, die sie mit reversen Transkriptasen teilt.

„Deshalb haben wir die Hypothese aufgestellt, dass Polymerase theta die Fähigkeit zur RNA-abhängigen DNA-Synthese besitzt“, schreiben die Forschenden. Diese Hypothese testeten sie in einer Reihe von Experimenten. Dazu verglichen sie die Funktionsweise der Polymerase theta mit der reversen Transkriptase von HIV. Und tatsächlich: Polymerase theta konnte RNA ähnlich gut zu DNA übersetzen wie das HIV-Enzym.

RNA-Kopiervorlage gegen DNA-Schäden

„Die Tatsache, dass eine menschliche Polymerase dies mit hoher Effizienz tun kann, wirft viele Fragen auf“, sagt Chandramoulys Kollege Richard Pomerantz. „Diese Arbeit öffnet die Tür zu vielen anderen Studien, die uns helfen werden, die Bedeutung eines Mechanismus zur Umwandlung von RNA-Nachrichten in DNA in unseren eigenen Zellen zu verstehen.“

Eine mögliche Funktion könnte sein, dass RNA-Fragmente dabei helfen, fehlende Stücke in beschädigter DNA zu rekonstruieren. In den Tests arbeitete Polymerase theta effizienter und verursachte weniger Fehler, wenn sie eine RNA-Vorlage verwendete, um neue DNA-Botschaften zu schreiben, als beim Kopieren von DNA in DNA. „Das legt nahe, dass die Hauptfunktion der Polymerase theta darin besteht, als reverse Transkriptase zu fungieren“, sagt Pomerantz.

Mit Hilfe von Röntgenkristallographie untersuchten die Forscher die Struktur der Polymerase theta. Das Ergebnis: Je nachdem, ob sie RNA oder DNA als Vorlage nutzt, ändert Polymerase theta grundlegend ihre Struktur. Diese Fähigkeit ist den Forschern zufolge unter den Polymerasen einzigartig und ermöglicht offenbar, dass Polymerase theta eine Hybrid-Funktion wahrnimmt, bei der sie Eigenschaften von replikativer Polymerase und reverser Transkriptase vereint.

Coronavirus
Das Coronavirus ist zwar ein RNA-Virus, dennoch können Teile seines Erbguts in unser eigenes Genom integriert werden. © peterschreiber media/ iStock.com

Gelangt so Coronavirus-Erbgut in unsere DNA?

Die Entdeckung dieser neuen Fähigkeit der Polymerase könnte möglicherweise eine im Rahmen der Corona-Pandemie gemachte Beobachtung erklären: Eine Studie hat unlängst gezeigt, dass sich Fragmente des Coronavirus-Erbguts auch in unserer DNA finden – und das, obwohl Sars-CoV-2 anders als beispielsweise HIV keine eigene reverse Transkriptase mitbringt. Angesichts der neuen Ergebnisse erscheint es nun möglich, dass die in unseren eigenen Zellen vorhandene Polymerase die Viren-RNA in DNA umkopiert hat und so den Einbau dieser viralen Erbgut-Fragmente in unsere DNA ermöglichte.

Dass auch die Informationen aus mRNA-Impfstoffen ins menschliche Erbgut gelangen könnten, halten Forscher dagegen für unwahrscheinlich. Denn für den Start der reversen Transkription wird stets ein sogenannter Primer benötigt, an dem das Enzym ansetzen kann. Auch Chandramouly und Kollegen setzten für alle Experimente entsprechende Primer zu, damit Polymerase theta die gewünschten Sequenzen übersetzte. Die Impfstoffe liefern eine solche Startsequenz nicht mit und bieten somit nach aktuellem Kenntnisstand keinen Ansatzpunkt für Polymerase theta oder eine reverse Transkriptase.

Ansatz für Krebstherapien

Eine größere Bedeutung könnten die Ergebnisse aber unter anderem für die Krebsforschung haben. Während Polymerase theta in gesunden Zellen wenig vorkommt, wird sie in Krebsstellen stark exprimiert. Bereits früher wurde sie mit dem Wachstum von Krebszellen und der Resistenz gegen Chemotherapeutika in Verbindung gebracht. Daher gilt sie als möglicher Angriffspunkt für zukünftige Krebstherapien.

„Es wird spannend sein, weiter zu verstehen, wie die Aktivität der Polymerase theta auf RNA zur DNA-Reparatur und zur Vermehrung von Krebszellen beiträgt“, sagt Pomerantz. (Science Advances, 2021, doi: 10.1126/sciadv.abf1771)

Quelle: Thomas Jefferson University

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