Es klingt nach Science-Fiction: Forscher haben Mikroalgen genutzt, um die Gehirnzellen eines Wirbeltiers mittels Photosynthese mit Sauerstoff zu versorgen. Die in den Blutkreislauf gespritzten Cyanobakterien und Grünalgen verteilten sich bis in die Hirngefäße von Froschlarven und begannen dort bei Beleuchtung, photosynthetisch Sauerstoff zu produzieren. Die Neuronen nahmen diesen auf und blieben dadurch aktiv. Diese künstliche Symbiose könnte ganz neue Möglichkeiten für die Medizin eröffnen.
Das Gehirn ist eines unserer sauerstoffhungrigsten Organe. Der Stoffwechsel der Nervenzellen beruht auf aeroben Prozessen und ist daher auf eine ausreichende und konstante Sauerstoffversorgung über das Blut angewiesen. Entsprechend schwere Folgen hat es, wenn eine Hirnregion durch einen Schlaganfall keinen Sauerstoff mehr bekommt, eine Halsschlagader verstopft oder aber das Gehirn durch Herz-Kreislaufprobleme nicht mehr genügend durchblutet wird. Neuronen und Hirngewebe sterben dann sehr schnell ab.
Photosynthese auch für Mensch und Tier?
An einer ungewöhnlichen Lösung für dieses Problem arbeiten Suzan Özugur von der Ludwig-Maximilians-Universität München und ihre Kollegen. Ihre Idee: Warum sollte man nicht die Strategie nutzen, die symbiontische Organismen wie Korallen, Schwämme oder einige Seeanemonen schon seit Jahrmillionen einsetzen: Die Sauerstoffversorgung der Gewebe und Zellen durch Photosynthese treibende Mikroalgen.
„Wenn man photosynthetische Mikroorganismen wie Algen und Cyanobakterien in den Kreislauf einbringt und sie sich in Geweben wie dem Gehirn verteilen, dann könnte ihre Fähigkeit zur Sauerstoffproduktion den Sauerstoffbedarf der tierischen Gewebe direkt decken“, erklärt das Team ihren Ansatz. Um herauszufinden, ob das funktioniert, haben die Forschenden das Prinzip an den fast durchsichtigen Kaulquappen des Krallenfrosches Xenopus laevis ausprobiert.
Mikroalgen in Blut und Gehirn
Für ihre Studie injizierten Özugur und ihr Team zwei Arten von photosynthetisch aktiven Mikroorganismen in das Herz von Froschlarven, eine einzellige Grünalge und eine Spezies von Cyanobakterien. Durch die fast transparente Haut der Kaulquappen war gut zu erkennen, wie sich die leuchtend grünen Mikroalgen im Blutkreislauf der Tiere ausbreiteten. „Die Blutgefäße färbten sich nach und nach grün“, berichten die Forschenden.
Wie sich zeigte, transportierte das Blut die Mikroalgen auch relativ schnell bis in das Gehirn und dessen Kapillaren. „Die hohe Dichte beider Algenarten in den Blutgefäßen des Gehirns sind eine ausgezeichnete Voraussetzung für eine effiziente photosynthetische Sauerstoffproduktion“, erklären die Wissenschaftler. Ob die injizierten Algen tatsächlich Sauerstoff vor Ort erzeugten, testeten sie, indem sie die Sauerstoffzufuhr durch das Nährmedium verringerten und den O2-Gehalt und die Aktivität des Kaulquappengehirns abwechselnd im Dunkeln und im Hellen maßen.
Photosynthese hält Neuronen am Leben
Das Ergebnis: Obwohl die Hirnzellen von außen keinen Sauerstoff mehr bekamen, blieb das neuronale Gewebe aktiv und gesund. Die Mikroalgen schafften es, den Sauerstoffgehalt im Gewebe auf rund 150 Mikromol pro Liter zu halten, wie das Team berichtet. Auch die anhaltende Aktivität der Neuronen zeigte an, dass sie offenbar imstande waren, sich mit dem vor Ort von den Mikroalgen erzeugten Sauerstoff zu versorgen.
„In einem sehr sauerstoffarmen Medium kam die Nervenzellaktivität im Dunkeln vollständig zum Erliegen“, berichtet Özugurs Kollege Hans Straka. „Wenn wir die Beleuchtung eingeschaltet haben, produzierten die Mikroorganismen Sauerstoff und die Nervenzellen begannen, wieder zu feuern. Der Sauerstoff, der durch die Photosynthese entsteht, wird also tatsächlich von den Nervenzellen benutzt, um die neuronale Aktivität in Gang zu bringen.“
Neue Möglichkeiten für die Medizin
Nach Ansicht des Forschungsteams demonstrieren diese Experimente, dass auch Zellen und Gewebe von Wirbeltieren durch Photosynthese mit Sauerstoff versorgt werden können. Dies könnte sich nutzen lassen, um beispielsweise das Gehirn oder bestimmte Gewebe während einer Operation vorübergehend mit Sauerstoff zu versorgen. Auch entnommene Organe und Gewebe könnten durch diese Art der künstlichen Symbiose länger am Leben erhalten werden.
Selbst eine längerfristige Symbiose mit photosynthetischen Mikroalgen können sich die Forschenden vorstellen. Zwar sind unsere Gewebe und Organe nicht durchsichtig wie die der Froschlarven. Aber zumindest in unserer Haut könnte die Lichtmenge ausreichen, um die Photosynthese der Mikroalgen zu erlauben. „Mikroorganismen, die mit dem Blut zirkulieren, können genügend Licht absorbieren, wenn sie die Blutgefäße der Haut passieren und so die Roten Blutkörperchen direkt mit photosynthetisch erzeugtem Sauerstoff versorgen“, erklären Özugur und ihre Kollegen. Voraussetzung wäre allerdings, dass unser Immunsystem die Algen toleriert.
„Photosynthetische Organismen produzieren außerdem nicht nur Sauerstoff, sondern beispielsweise auch Zucker. Man könnte sich auch vorstellen, diesen Stoffwechsel zu nutzen, um an Nährstoffe zu gelangen“, sagt Straka. Da Licht hinsichtlich Stärke, Dauer und Spektrum der Beleuchtung sehr genau kontrollierbar ist, könnte die neue Methode zudem neue Wege eröffnen, um die Rolle von Sauerstoff in Stoffwechselprozessen zu untersuchen. (iScience, 2021; doi: 10.1016/j.isci.2021.103158)
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München