Medizin

Mit 40.000 Blutproben gegen Grippe & Co.

Internationales Projekt erforscht Ursachen von geschwächter Abwehr

Forscher Oliver Schildgen mit Blutprobe im Labor © Universität Bonn

Vier Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Atemwegserkrankungen wie der Virusgrippe. Besonders betroffen sind ältere Menschen. Ein internationales EU-Projekt will jetzt klären, warum das so ist. Die Untersuchung mehrerer zehntausend Blutproben soll dabei helfen. Ziel ist auch die Entwicklung neuer Medikamente, die die Abwehrkräfte stimulieren.

Die Spanische Grippe raubte zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen Menschen das Leben. Doch nicht nur wegen ihrer extremen Virulenz war die Erkrankung eine Ausnahme: Der Erreger, das Influenzavirus Subtyp A/H1N1, raffte vor allem Frauen und Männer in den besten Jahren hinweg. „Normalerweise stellen Atemwegsviren vor allem für Kinder und Menschen über 60 eine Gefahr dar“, erklärt Projektkoordinator Dr. Oliver Schildgen. „Bei Älteren kommt leider noch hinzu, dass die Grippeimpfung nur in sechs von zehn Fällen eine Erkrankung verhindert.“ Bei jungen Erwachsenen liege die Erfolgsquote dagegen bei bis zu 90 Prozent.

Grund: Im Alter nimmt die Schlagkraft der Immunabwehr ab. Ein internationales Forschungskonsortium will nun die Ursachen dafür herausfinden. Rund 1,8 Millionen Euro stellt die EU dafür in den nächsten drei Jahren zur Verfügung. Bei anderen Erkrankungen wurde schon nachgewiesen, dass der gealterte Körper nicht mehr genügend wirksame Antikörper produzieren kann. „Wir wollen vor allem herausfinden, ob das auch bei Infekten mit neu entdeckten Atemwegsviren der Fall ist“, sagt Oliver Schildgen.

Spurensuche in 40.000 Blutproben

Dazu wollen die Wissenschaftler bis zu 40.000 anonymisierte Blutproben analysieren, die am Uniklinikum Bonn in den letzten Jahren gesammelt wurden. Sie stammen von Patienten, die mit ganz unterschiedlichen Beschwerden eingeliefert wurden. Zu jeder Probe ist bekannt, wie alt die Person war, der sie entnommen wurde. Den Wissenschaftlern geht es darum, einen möglichst repräsentativen Überblick über den Immunstatus der Bevölkerung zu erhalten. „In letzter Zeit sind eine Reihe neuer Atemwegsviren entdeckt worden“, erläutert der der Bonner Privatdozent. „Wir vermuten, dass wir in den Blutproben älterer Patienten weniger wirksame Antikörper gegen diese Erreger finden werden als bei Jüngeren.“

Der „kleine Bruder“ von SARS

Zu den möglicherweise gefährlichsten Erregern zählt das erst 2001 vom holländischen Projektpartner entdeckte Coronavirus NL63. Es gehört zur selben Virusgruppe wie der Erreger von SARS, der es bei einer Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 zu trauriger Berühmtheit brachte. Die Gruppe vom Academic Medical Center in Amsterdam möchte nun herausfinden, wie eine Infektion mit dieser Virengruppe abläuft, um so möglicherweise Ansatzpunkte für neue Medikamente zu finden.

Unter den Partnern ist auch ein deutscher Softwareentwickler: Die Firma Hamann wird eine Datenbank entwickeln, um die umfangreichen Resultate auszuwerten. In den kommenden Jahren sollen damit auch aktuelle Atemwegsinfektionen in der EU standardisiert erfasst werden. Neue Immuntests, die von der spanischen Firma INGENASA entwickelt werden, sollen eine beschleunigte Lösung dieser Aufgabe ermöglichen. „Wir wollen herausfinden, welche Viren sich momentan ausbreiten, wie gefährlich sie sind und welche Risikofaktoren eine Infektion besonders wahrscheinlich machen“, erläutert Schildgen.

Internationale Zusammenarbeit

Eine Arbeitsgruppe der Universität Siena untersucht derweil, wie sich die Immunantwort bei Älteren auf Zellebene verändert. Weitergehende Erkenntnisse sollen Studien mit gealterten Mäusen liefern. Dazu baut das Universitätsklinikum von Dijon ein entsprechendes Tiermodell auf. Der Belgische Projektpartner RNA-Tec will an den Tieren neue Konzepte erproben, um das Immunsystem Älterer zu Höchstleistungen anzuspornen.

Wenn das Immunsystem im Alter nachlässt, könnte das auch an einer lange zurückliegenden Infektion liegen. Unter Verdacht steht beispielsweise der Erreger des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers. Wegen der hauptsächlich betroffenen Altersgruppe und eines möglichen Infektionsweges ist die Erkrankung auch als „Students’ Kissing Fever“ bekannt. Nach Abheilung der Symptome verbleibt der Erreger, das Epstein-Barr Virus, lebenslang im Körper und könnte mit zunehmendem Alter die Abwehrkraft des Körpers nachhaltig schwächen – eine Theorie, der die RWTH Aachen nachgeht.

(Universität Bonn, 08.02.2007 – NPO)

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