Signalblockade gegen die Infektion: Forscher haben erstmals beobachtet, wie das Coronavirus SARS-CoV-2 die molekularen Signalwege der befallenen Zelle verändert – und dabei neue Ansatzstellen für die Virenbekämpfung gefunden. In ersten Zellkultur-Tests blockierten fünf Krebsmedikamente entscheidende Signalwege und konnten so die Vermehrung des Coronavirus stoppen. Sollte dies auch im lebendem Organismus funktionieren, könnten diese schon zugelassenen Wirkstoffe gegen Covid-19 helfen.
Die Corona-Pandemie schreitet weiter voran und noch immer fehlen wirksame Gegenmittel – auch weil die Entwicklung neuer Medikamente viel Zeit benötigt. Unter anderem deshalb suchen Wissenschaftler nach Möglichkeiten, bereits erprobte und zugelassene Wirkstoffe gegen das Coronavirus einzusetzen. Bei dem antiviralen Mittel Remdesivir gibt es bereits vielversprechende Ergebnisse und auch einige altbekannte Arzneien wie das Antidepressivum Fluoxetin zeigen zumindest in Zellkultur Wirkung.
Manipulation der zellulären Signalwege
Einen weiteren Ansatzpunkt und neue Therapie-Kandidaten könnten nun Kevin Klann von der Goethe-Universität Frankfurt und seine Kollegen gefunden haben. Sie haben erstmals die Veränderungen untersucht, die das Coronavirus bei den molekularen Signalwegen der befallenen Zelle verursacht. „Denn um Wirkstoffe erfolgreich umwidmen zu können, ist die Kenntnis der molekularen Vorgänge und Veränderungen in der Wirtszelle essenziel“, so die Forscher.
Für ihre Studie infizierten sie Zellkulturen menschlicher Darmzellen mit SARS-CoV-2 und untersuchten mittels Chromatografie-Massenspektrometrie, welche Veränderungen dies an den Proteinen und deren angelagerten Phosphorgruppen bewirkt. Diese Phosphorylierung spielt eine entscheidende Rolle für die Signal-Kaskaden, die letztlich den Zellstoffwechsel regulieren – und die das Virus für seine eigene Vermehrung umfunktioniert.
Wachstumsfaktoren als Ansatzpunkt
Das Ergebnis: „Wir haben nach der Infektion mit SARS-CoV-2 umfangreiche Veränderungen in der Phosphorylierung der Wirtsproteine und der des Virus festgestellt“, berichten die Forscher. Betroffen sind zum einen Signalwege, die Zellrezeptoren und die für den Transport von Substanzen wichtigen Vesikeln kontrollieren. Zum anderen manipuliert das Virus auch Botenstoffkaskaden, die die Proteinproduktion und den Zellzyklus steuern.
Als einer der zentralen Akteure in diesem komplexen Signal-Netzwerk erwies sich dabei der sogenannte epidermale Wachstumsfaktor (EGFR). Er wird von verschiedenen Viren als Eintrittspforte in die Zelle genutzt, kann aber bei Aktivierung auch die antiviralen Mechanismen der Wirtszelle aushebeln. Auch SARS-CoV-2 nutzt diesen und weitere Wachstumsfaktoren für seine Zwecke aus, wie Klann und seine Kollegen feststellten.
Krebsmedikamente blockieren Virenvermehrung
Das Spannende daran: Weil diese Wachstumsfaktoren auch bei der Entartung von Zellen eine Rolle spielen, gibt es bereits eine Reihe von Krebsmedikamenten, die an ihnen und den von ihnen ausgelösten Signalkaskaden ansetzen. Diese Hemmstoffe sind bereits erprobt und teils zur Behandlung von Krebspatienten zugelassen. Sollte sie auch die Vermehrung des Coronavirus in menschlichen Zellen hemmen können, wären sie Kandidaten für Wirkstoffe gegen Covid-19.
Und tatsächlich: „Fünf dieser Wirkstoffe haben wir an unseren Zellen getestet und alle fünf führten zu einem kompletten Stopp der SARS-CoV-2-Replikation“, berichtet Klanns Kollege Christian Münch. Diese Wirkstoffe – Pictilisib, Omipalisib, RO5126766, Lonafarnib und Sorafenib – setzen relativ tief in der Signalkaskade an und können dadurch die Aktivierung verschiedener Wachstumsfaktor-Rezeptoren blockieren.
In den Tests hemmten diese Krebsmedikamente die Produktion der viralen RNA in den Zellen und verhinderten so die Vermehrung des Coronavirus. Sie entfalteten diese Wirkung zudem bei für den Menschen verträglichen Konzentrationen, wie die Wissenschaftler berichten.
Neue Strategien gegen Covid-19
Nach Ansicht von Klan und seinen Kollegen bieten diese Medikamente und ähnliche Hemmstoffe der zellulären Wachstumsfaktoren damit eine mögliche neue Strategie zur Behandlung von Covid-19 und gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. „Bereits zugelassene Medikamente haben einen ungeheuren Entwicklungsvorsprung, sodass man auf Grundlage unserer Ergebnisse und weniger weiterer Experimente sehr schnell mit klinischen Studien beginnen könnte“, sagt Koautor Jindrich Cinatl vom Universitätsklinikum Frankfurt.
Allerdings stammen die bisherigen Ergebnisse nur von Zellkultur-Versuchen. Ob sich die Wirkung der fünf getesteten Krebsmedikamente auch auf den Menschen übertragen lässt, muss daher erst in noch getestet werden. (Molecular Cell, 2020 doi: 10.1016/j.molcel.2020.08.006)
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main