Schützende Schnipsel: Forscher haben eine microRNA entdeckt, die die Innenwände der Blutgefäße vor Zellschäden schützen kann – und die damit auch der Arteriosklerose vorbeugen könnte. Werden die Gefäßzellen belastet, wandern diese kleinen Schnipsel des Erbmoleküls RNA in den Zellkern ein und blockieren dort ein zelltötendes Enzym. Dadurch verhindert diese microRNA das Absterben der Gefäßzellen – und das ließe sich möglicherweise auch therapeutisch nutzen.
Schon der Gletschermann Ötzi, die alten Ägypter und unzählige andere unserer Vorfahren litten daran: Arteriosklerose, fachsprachlich Atherosklerose, ist eine echte Volkskrankheit. Sie entsteht, wenn sich Cholesterin und andere Blutfette in die Wände der Blutgefäße einlagern und dabei chronische Entzündungen und Wandschäden verursachen. Gleichzeitig löst dies bei den Gefäßwandzellen einen zellulären Selbstmord aus. Im Laufe der Zeit verdicken dadurch die Gefäßwände und engen den Blutstrom ein.
RNA-Schnipsel mit wichtiger Kontrollfunktion
Jetzt könnten Donato Santovito von der Ludwig-Maximilians-Universität München und seine Kollegen etwas gefunden haben, das diesem zerstörerischen Prozess entgegenwirkt. Sie haben eine microRNA entdeckt, die die Endothelzellen der Gefäßwände vor dem Zelltod bewahren kann und so den Schäden an der Innenwand der Blutadern vorbeugt.
MicroRNAs sind kleine Schnipsel des Erbmoleküls RNA, die eine wichtige Rolle für die Genregulation in unseren Zellen spielen. Typischerweise agieren die microRNAs im Zytoplasma der Zelle, wo sie sich an Genkopien anlagern, die auf dem Weg zu den Proteinfabriken der Zelle, den Ribosomen, sind. Dadurch blockieren sie das Ablesen dieser genetischen Bauanleitungen und verhindern die Produktion der Proteine.
Zellstress bringt microRNAs in den Kern
Doch wie die Forscher nun entdeckt haben, können microRNAs in Blutgefäßzellen auch auf andere Weise wirken. Auslöser ist dabei der starke Scherstress, dem die Endothelzellen der Gefäßinnenwände an Stellen mit starken Turbulenzen im Blutfluss ausgesetzt sind – beispielsweise an Abzweigungen kleiner Äderchen. Auf diese Bedingungen reagiert eine bestimmte microRNA, die in den Endothelzellen stark angereichert ist.
Die miR-126-5p getaufte microRNA verbindet sich bei starkem Scherstress ihrer Heimatzelle mit einem bläschenartigen Transportmolekül im Zellplasma, wie Santovito und seine Kollegen berichten. Dieses Vesikel bringt den RNA-Schnipsel dann in den Zellkern. Dort löst sich die microRNA von ihrem Transporter und bindet stattdessen an das Enzym Caspase-3, wie Experimente in Zellkulturen belegten. Durch diese Anlagerung der microRNA wird die Caspase-3 in ihrer Funktion blockiert.
Blockade des zellulären Selbstmordprogramms
Das Spannende daran: Das Enzym Caspase-3 gilt als ein zentraler Akteur beim programmierten Zelltod, der sogenannten Apoptose. Mit diesem „Selbstmordprogramm“ reagieren Zellen auf Stress oder Schäden. „Apoptose wird durch spezifische Kaskaden von Enzymen ausgelöst, die in der Aktivierung von Caspasen wie der Caspase-3 kulminieren – und sie sind verantwortlich für das Abtöten der Zelle“, erklären die Forscher.
Doch indem die microRNA die Caspase-3 hemmt, schützt sie die Endothelzellen vor dem Zelltod – zumindest unter normalen Bedingungen. Damit verhindert miR-126-5p, dass an Gefäßwandstellen mit hoher Beanspruchung Schäden auftreten, die die Arteriosklerose begünstigen. Diese zuvor unbekannte Funktion dieses RNA-Schnipsels trägt damit entscheidend dazu bei, die Blutgefäße zu schützen und einer Gefäßverkalkung vorzubeugen.
RNA-Schnipsel als Therapie?
Bei Patienten mit einer bereits bestehenden Gefäßverkalkung jedoch scheint dieser Schutzmechanismus nicht mehr richtig zu funktionieren. Wie die Wissenschaftler bei Untersuchungen erkrankter Gefäße feststellten, ist das Zelltod-Enzym Caspase-3 in den Wandverdickungen von arteriosklerotischen Gefäßen besonders reichlich vorhanden. Gleichzeitig ist in diesen schon geschädigten Zellen nur wenig von der schützenden microRNA im Zellkern zu finden.
Nach Ansicht von Santovito und seinen Kollegen könnten die neuen Erkenntnisse nun einen Ansatzpunkt für Therapien gegen Arteriosklerose und andere Gefäßerkrankungen bieten. So könnte man beispielsweise Strategien entwickeln, die die Anreicherung von miR-126-5p im Zellkern gezielt fördern und so die Endothelzellen besser schützen. (Science Translational Medicine, 2020; doi: 10.1126/scitranslmed.aaz2294)
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München