Nervenwasser als Biomarker für Autismus? In einer Studie fanden Mediziner einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Menge Gehirnflüssigkeit und dem Auftreten von Autismus-Spektrum-Störungen. Dies wäre ein erster Anhaltspunkt, um bereits im Alter von sechs Monaten später auftretende Autismus vorherzusagen. Herkömmliche Diagnose-Verfahren basieren in der Regel auf Verhaltensanalysen und sind erst ab dem zweiten Lebensjahr anwendbar.
Eine zuverlässige Diagnose von Autismus ist bislang nur über Verhaltensauffälligkeiten möglich, die aber erst ab einem Alter von zwei bis drei Jahren erkennbar werden. Zwar wurden auch eine veränderte Geruchs-Reaktion und Besonderheiten bei Hirnströmen mit Autismus in Verbindung gebracht, doch ein zuverlässiges Instrument zur frühzeitigen Erkennung von Autismus fehlt bislang.
Hinweis Gehirnflüssigkeit
Joseph Piven von der University North Dakota und seine Kollegen sind jedoch auf einer vielversprechende Spur. Den Anstoß dazu erhielten sie durch eine kleine Pilotstudie, die 2013 veröffentlicht worden war. Sie lieferte erste Hinweise darauf, dass sich bereits im Alter sechs bis zwölf Monaten an der Menge der Gehirn- und Rückenmarks-Flüssigkeit von Kleinkindern erkennen lässt, ob diese später einen Autismus entwickeln.
Piven und seine Kollegen haben die Ergebnisse von 2013 nun auch bei einer größeren und damit verlässlicheren Teilnehmerzahl überprüft. Für ihre Folgestudie untersuchten sie 343 Säuglinge von denen 221 autistische Geschwister und daher ein erhöhtes Autismus-Risiko hatten. Dazu machten sie Magnetresonanztomographie-Aufnahmen (MRT) im Alter von 6, 12 und 24 Monaten, auf denen sich das Volumen der Gehirnflüssigkeit leicht abschätzen lässt.
Deutlicher Zusammenhang
Das Ergebnis: Bei 47 teilnehmenden Kindern wurde im Alter von zwei Jahren Autismus diagnostiziert. Doch auf MRT-Bildern war bereits im Alter von sechs Monaten eine um 15 Prozent größere Menge Gehirnflüssigkeit zu erkennen. Diese Auffälligkeit blieb auch im ersten und zweiten Lebensjahr bestehen, wie die Forscher berichten.
Weiterhin stellten sie fest, dass die Zweijährigen mit den stärksten Autismus-Symptomen im Säuglingsalter auch die stärkste Erhöhung des Gehirnflüssigkeit-Volumens zeigten, was die Aussagekraft der Studie bestärkt.
Insgesamt hätte man über Menge der Gehirnflüssigkeit das spätere Autismus-Auftreten mit 70 Prozent Genauigkeit vorhersagen können. „Dass es da eine Veränderung in der Verteilung der Zerebrospinalflüssigkeit gibt, die wir in MRT-Aufnahmen bereits bei Säuglingen im Alter von sechs Monaten sehen können, ist eine bedeutende Entdeckung,“ sagt Koautor David Amaral, Forschungsdirektor am MIND-Institut in Carolina.
Mehr als bloß ein Stoßdämpfer
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Gehirnflüssigkeit für ein gesundes Denkorgan: Lange Zeit wurde sie lediglich als eine Art flüssiger Stoßdämpfer angesehen, dessen einzige Aufgabe der Schutz des Gehirns vor schweren Erschütterungen ist. Doch in den letzten Jahren hat sich dieses Bild gewandelt.
„Wir wissen, dass Zerebrospinalflüssigkeit eine ausgesprochen wichtige Rolle für ein gesundes Gehirn spielt,“ erzählt Co-Autor Mark Shen. „Sie ist wie ein Filtersystem: Während sie durch das Gehirn zirkuliert, wäscht sie Abfallstoffe aus, die sich sonst ansammeln würden.“ Die Forscher vermuten, dass zusätzliche Gehirnflüssigkeit ein Zeichen ist, dass diese Wasch- und Filterfunktion nicht richtig funktioniert.
Ob die erhöhte Menge an Gehirnflüssigkeit zum Autismus beiträgt, oder ob sie selbst nur das Resultat einer anderen, unscheinbareren Ursache ist, müssen die Forscher noch herausfinden. Doch für die Früherkennung von Autismus sind die Ergebnisse bereits vielversprechend. „Die Zerebrospinalflüssigkeit ist auf Standard-MRT-Aufnahmen leicht zu erkennen und kann lange vor Auftreten der ersten Symptome als möglicher Biomarker für Autismus dienen,“ fasst Forschungsleiter Piven zusammen. (Biological Psychiatry, 2017; doi: 10.1016/j.biopsych.2017.02.1095)
(University of North Carolina Health Care, 07.03.2017 – CLU)