Besonders empfänglich für Musik: Bei schwangeren Frauen löst Musik viel stärkere Blutdruckveränderungen aus als bei Nichtschwangeren – ein für die Wissenschaftler überraschendes Ergebnis, da Schwangere sonst vielen Sinneseindrücken gegenüber unempfindlicher sind. Die Ursachen sind noch unklar, es könnte aber erklären, wie ungeborene Kinder bereits im Mutterleib auf Musik geprägt werden.
Musik kann beruhigen oder aufwühlen, sie kann uns zum Tanzen verführen oder zum Trauern. Dabei beeinflusst sie nicht nur unsere Seele, sondern auch den Körper auf vielfältige Weise: Blutdruck, Herzschlag, Atmung und sogar die Körpertemperatur können sich beim Musikhören messbar ändern. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben untersucht, wie stark angenehme und unangenehme Musik bei Schwangeren zu solchen Veränderungen führt.
Rückwärts, dissonant, unangenehm
Für ihre Studie spielten die Max-Planck-Forscher Probandinnen kurze Musiksequenzen von zehn oder 30 Sekunden Dauer vor. Dabei verwendeten sie nicht nur die ursprünglichen Stücke, sie spielten die Passagen auch rückwärts ab oder bauten Dissonanzen ein. Dadurch entstellten sie die ursprünglich heiteren Instrumentalstücke und machten das Zuhören weniger angenehm.
Zunächst wenig überraschend war, wie beide Gruppen die Musikstücke bewerteten: Die dissonant rückwärts gespielten Stücke fanden sowohl die Schwangeren als auch die Nichtschwangeren besonders unangenehm, die harmonische Originalversion fanden beide dagegen am angenehmsten. Die körperliche Reaktion fiel jedoch trotz der gleichen Beurteilung unterschiedlich stark aus.
Überraschende Veränderung beim Blutdruck
„Unangenehme Musik erhöht nicht wie andere Stressfaktoren generell den Blutdruck“, sagt Tom Fritz vom Leipziger Max-Planck-Institut. „Die Antwort des Körpers ist vielmehr genauso dynamisch wie die Musik selbst.“ Vorwärts abgespielte, dissonante Musik senkte den Blutdruck besonders stark, während rückwärts dissonante Musik nach zehn Sekunden zu einem höheren, nach 30 Sekunden zu einem niedrigeren Blutdruck führte.
Den Ergebnissen zufolge nimmt Musik für Schwangere unter allen Sinneswahrnehmungen einen Sonderstatus ein: „Jede Veränderung beeinflusste den Blutdruck unterschiedlich und um ein Vielfaches stärker als bei nichtschwangeren Frauen“, sagt Fritz. Diesen Befund hatten die Forscher nicht erwartet: Frühere Studien hatten gezeigt, dass Schwangere vergleichsweise unempfindlich für Sinnesreize sind.
Belohnung durch Östrogen?
Schwangeren Frauen geht Musik demnach besonders nahe. Eine Erklärung dafür haben die Wissenschaftler jedoch noch nicht. Ursprünglich hatten sie das Hormon Östrogen im Verdacht, denn es beeinflusst das Belohnungssystem des Gehirns. Dieses ist auch für die schönen Empfindungen beim Musikhören zuständig. Doch nichtschwangere Frauen wiesen die gleichen körperlichen Reaktionen auf, obwohl sie hormonelle Verhütungsmittel einnahmen und somit Schwankungen der Östrogenwerte unterlagen. „Entweder sind die Östrogenwerte bei Nichtschwangeren generell zu niedrig, oder bei den Schwangeren sind andere Hormone dafür verantwortlich“, so Fritz.
Die Forscher vermuten, dass ungeborene Kinder durch die starke körperliche Reaktion ihrer Mütter bereits im Mutterleib auf Musikwahrnehmung geprägt werden. Bereits ab der 28. Woche, also zu Beginn des letzten Drittels der Schwangerschaft, verändert sich die Herzfrequenz, wenn der Fötus ein bekanntes Lied hört. Ab der 35. Woche verändert sich sogar das Bewegungsmuster.
(Max-Planck-Gesellschaft, 26.05.2014 – AKR)