Eiszeitliches Erbe: Wissenschaftler haben in unserem Genom 33 zuvor unbekannte DNA-Abschnitte identifiziert, die unsere Gesichtszüge beeinflussen. Darunter ist eine Region auf dem ersten Chromosom, die ursprünglich vom Neandertaler stammt – und die die Form unserer Nasen mitbestimmt. Träger dieser DNA-Varianten haben eine tendenziell längere Nase, wie das Team in „Communications Biology“ berichtet. Erhalten hat sich diese Neandertaler-Variante vermutlich in Anpassung an kühles Klima.
Sie helfen uns beim Fettabbau, stärken unsere Immunabwehr und beeinflussten unsere Haut und Haare: Noch heute tragen wir einen kleinen Anteil Neandertaler-Erbgut in uns. Diese Gene und DNA-Abschnitte gelangten ins Genom unserer Vorfahren, als sich einige von ihnen mit Neandertalern kreuzten. Weil dieses genetische Erbe ihren Nachkommen Vorteile brachte – zum Beispiel bei der Anpassung an das kühlere europäische Klima, blieben diese Neandertaler-Abschnitte im Erbgut erhalten und sind bis heute aktiv.
Genomweite Suche nach Gesichtsgenen
Ein weiteres genetisches „Erbstück“ der Neandertaler hat nun ein internationales Team um Qing Li von der Fudan Universität in Shanghai entdeckt. Für ihre Studie hatten die Forschenden Genomdaten von 6.486 Menschen verschiedener Abstammung in Lateinamerika vergleichend analysiert. Ziel war es, Gene aufzuspüren, die für die Form und Merkmale des Gesichts verantwortlich sind. Dafür suchte das Team nach Korrelationen zwischen bestimmen Genvarianten und den automatisiert vermessenen Gesichtsmerkmalen der Testpersonen.
Das Ergebnis: Die Forschenden identifizierte 42 mit der Gesichtsmerkmalen verknüpfte Genomregionen. Darunter waren neun schon in früheren Vergleichsstudien gefundene Abschnitte und 33 neu entdeckte. Ein ergänzender Abgleich mit Gendaten aus Europa, Asien und Afrika ergab, dass 26 dieser DNA-Sequenzen auch in anderen Populationen vorkommen.
Neandertaler-Einschübe auf dem ersten Chromosom
Das Spannende jedoch: Einer der neu entdeckten DNA-Abschnitte kommt nicht nur in heutigen Menschen häufiger vor – er stammt ursprünglich von den Neandertalern. „Wir wussten ja schon, dass wir ein klein wenig Neandertaler-Erbgut in uns tragen. Jetzt haben wir festgestellt, dass ein Teil dieser Neandertaler-DNA auch die Form unseres Gesichts beeinflusst“, sagt Koautor Kaustubh Adhikari vom University College London. „Bis zu 31 Prozent unserer Testgenome trugen Neandertaler-Varianten in dieser Genomregion.“
Der von den Eiszeitmenschen geerbte Abschnitt 1q32.3 liegt auf dem ersten Chromosom und ist nicht Teil eines proteinkodierenden Gens, sondern gehört zu den Abschnitten unseres Erbguts, die die Aktivität von Genen regulieren. Nähere Analysen ergaben, dass 1q32.3 mit dem ATF3-Gen verknüpft ist. Dieses ist unter anderem an der Ausprägung des mittleren Gesichtsbereich während der Embryonalentwicklung beteiligt.
Neandertaler-DNA beeinflusst Nasenlänge
Konkret ergaben die Vergleichsanalysen: Die Neandertaleranteile in 1q32.3 tragen dazu bei, die Nasenregion im Gesicht ein wenig zu verlängern. „Es wurden schon lange vermutet, dass die Form unserer Nase durch die natürliche Selektion beeinflusst wird, denn sie ist wichtig, um die Temperaturn und Feuchtigkeit der eingeatmeten Luft zu regulieren“, erklärt Li. Die Neandertaler hatten zum Schutz gegen die Kälte besonders große, lange Nasen.
Die von den Eiszeitmenschen geerbten Anteile wirken sich bei beim Homo sapiens deutlich weniger stark aus. Sie könnten aber unseren aus Afrika kommenden Vorfahren dabei geholfen haben, sich besser an das kühle Klima in Europa anzupassen. „Weil dies für unsere Vorfahren nützlich war, sind diese Neandertaler-Varianten über tausende Genrationen erhalten geblieben“, so Li. Besonders häufig vertreten sind die Neandertaler-Einschübe in 1q32.3 bei amerikanischen Ureinwohnern. Sie könnten diese Abschnitte von ihren sibirischen Vorfahren geerbt haben.
Zweiter archaischer Einfluss auf unser Gesicht
Interessant auch: „Der Einfluss der Neandertaler-Abschnitte in 1q32.3 sind schon der zweite bekannte Fall, bei dem archaische Geneinflüsse die Gesichtsmorphologie moderner Menschen beeinflussen“, berichten die Forschenden. 2021 hatte das Team bereits herausgefunden, dass die Form unserer Lippen in Teilen von Genomvarianten geprägt wird, die unsere Vorfahren einst von den archaischen Denisova-Menschen erbten. (Communications Biology, 2023; doi: 10.1038/s42003-023-04838-7)
Quelle: University College London