Einen bis dato unbekannten Regulationsmechanismus für das Knochenwachstum hat jetzt ein internationales Wissenschaftler-Team aufgedeckt. Die Forschungsergebnisse könnten nach Angaben der Mediziner zu neuen Wegen bei der Behandlung der Osteoporose führen. Am gefürchteten Knochenschwund leiden allein in Deutschland nach Schätzungen mehr als vier Millionen Menschen, vor allem Frauen.
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Dr. Meliha Karsak vom Life&Brain-Zentrum der Universität Bonn hat in ihrer Studie zusammen mit Kollegen aus Israel, den USA und England festgestellt, dass Mäuse mit einem bestimmten Gendefekt eine geringere Knochendichte aufweisen. Durch ihre Ergebnisse rücken nun die so genannten Cannabinoidrezeptoren in den Focus der Osteoporose-Forschung.
„Wir kennen heute zwei Typen von Cannabinoidrezeptoren, CB1 und CB2“, erklärt Karsak in den Fachjournalen „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) und „Human Molecular Genetics“. „Der CB1-Rezeptor wird von den Nervenzellen im Gehirn gebildet und ist beispielsweise für die psychische Wirkung von Cannabis verantwortlich. Der CB2-Rezeptor kommt dagegen nicht in Nervenzellen vor; seine Funktion war bislang unbekannt.“
Die Wissenschaftler um den Bonner Hirnforscher Professor Dr. Andreas Zimmer haben daher Mäuse gentechnisch so verändert, dass ihr CB2-Rezeptor nicht mehr funktionierte. „Die Tiere verloren nach und nach die stabilisierenden Knochenbälkchen“, fasst Karsak die Ergebnisse zusammen. „Auch war bei ihnen die Zahl der Osteoklasten – das sind bestimmte Zellen, die Knochengewebe abbauen können – um fast die Hälfte erhöht.“
Signalmoleküle regulieren die Knochendichte
Zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus Israel und England konnte Karsak nachweisen, dass Osteoklasten wie auch ihre Gegenspieler, die für den Knochenaufbau zuständigen Osteoblasten, auf ihrer Oberfläche CB2-Rezeptoren tragen. Signalmoleküle wie die vom Körper gebildeten Endocannabinoide scheinen auf diesem Wege das Knochenwachstum regulieren zu können.
Unterstützt wird diese These durch Experimente mit Mäusen, denen die Eierstöcke entfernt worden waren. Der daraus resultierende Östrogen- Mangel führt normalerweise zum Abbau von Knochensubstanz und schließlich zu einer „Maus-Osteoporose“. „Wir haben die Mäuse mit einem Wirkstoff behandelt, der spezifisch an den CB2-Rezeptor bindet. Auf diese Weise konnten wir den durch den Eingriff bedingten Knochenverlust abschwächen“, erklärt die Molekularbiologin.
Viele Patientinnen tragen eine bestimmte Variante des CB2-Gens
Doch wie übertragbar sind die Ergebnisse auf den Menschen? Um diese Frage zu beantworten, wandte sich die Forscherin an eine Arbeitsgruppe in Frankreich, die über genetische Proben von mehr als 160 Osteoporose-Patientinnen und 240 gesunden Frauen verfügt. Mit durchschlagendem Erfolg: „Wir haben eine bestimmte Variante des CB2 Gens häufiger bei Patientinnen gefunden als in einer entsprechenden Kontrollgruppe“, so Karsak. Wer diesen Defekt in seinen Erbanlagen mit sich herumtrage, müsse jedoch nicht zwangsläufig erkranken: „Frauen mit dieser Mutation tragen aber ein dreifach höheres Osteoporose- Risiko.“
Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass der CB2-Rezeptor für den Erhalt der normalen Knochenmasse essentiell ist. Sie eröffnen auch völlig neue Möglichkeiten der Therapie: „Bei vielen Frauen mit Osteoporose funktioniert der CB2-Rezeptor; bei ihnen hat die Erkrankung andere Ursachen. Bei ihnen könnte man versuchen, den Rezeptor durch Medikamente zu stimulieren und so den Knochenverlust zu bremsen.“ Dass dieser Ansatz funktionieren kann, hat der Versuch mit den Mäusen ohne Eierstöcke bereits gezeigt.
Und auch für Frauen mit CB2-Defekt machen die Resultate Hoffnung: Da sich leicht herausfinden lässt, ob eine Frau Trägerin der entsprechenden Mutation ist, ermöglichen sie zum Einen eine bessere und schnellere Diagnose. Zum Anderen rückt nun ein bis dato unbekannter Regulationsmechanismus in den Focus der Osteoporose- Forschung – langfristig vielleicht auch eine Chance für neue Medikamente.
Karsak wurde für ihre Ergebnisse kürzlich mit dem Osteologie-Preis der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie ausgezeichnet.
(idw – Universität Bonn, 03.01.2006 – DLO)