Medizin

Kommt die „Pille“ für den Mann?

Schnell und reversibel wirkendes Verhütungsmittel blockiert die Spermienbewegung

Spermien
Ein neuer Hemmstoff könnte auch Männern eine medikamentöse Verhütung ermöglichen - schnell wirksam und ohne Hormone. © BlackJack3D/ Getty images

„Gamechanger“ in der Verhütung? Ein neuer Wirkstoff könnte künftig auch Männern eine kurzfristig wirksame, effektive Verhütung ermöglichen. In ersten Tests mit Mäusen stoppte das nichthormonelle Mittel schon kurz nach Einnahme die Bewegung der Spermien und verhinderte jede Befruchtung. Weil die Wirkung schnell einsetzt und mehre Stunden anhält, könnte der TDI-11861 getaufte Wirkstoff auch spontan zur Verhütung eingesetzt werden. Zunächst muss er sich jedoch in weiteren Tests bewähren.

Wenn Männer eine ungewollte Zeugung verhindern wollen, bleibt ihnen bisher nur das Kondom oder eine Sterilisation. Denn eine effektiv wirkende und spontan einsetzbare medikamentöse Verhütung für den Mann gibt es bisher nicht. Einer der Gründe dafür: Ein solches Verhütungsmittel muss die Produktion oder Funktion von Millionen Spermien vollständig und zuverlässig blockieren. Doch bisher getestete hormonelle Mittel wirkten erst nach wochenlanger Einnahme und hatten teilweise erhebliche Nebenwirkungen.

Hemmstoff
Der Hemmstoff TDI-11861 (grau) bindet in eine Tasche des sAC-Enzyms (grün) und blockiert dessen Funktion. © Clemens Steegborn

Enzymblockade macht Spermien unbeweglich

Doch es gibt nun einen neuen Ansatz. Dieser greift nicht in die Spermienproduktion und den Testosteron-Haushalt der Männer ein wie frühere Wirkstoffkandidaten. Stattdessen setzt er an einem Enzym an, das die Beweglichkeit der Spermien reguliert. Die lösliche Adenylylcyclase (sAC) produziert unter normalen Bedingungen einen Botenstoff, der für die zelluläre Signalübertragung entscheidend ist – und auch für die Reifung und Bewegung der Spermien.

An diesem Punkt kommt der neuentdeckte Wirkstoff ins Spiel. Für ihre Studie hatte das Team um Melanie Balbach von Weill Cornell Medicine in New York nach Hemmstoffen gesucht, die selektiv und vorübergehend nur die in den Hoden und Spermien aktive Adenylylcyclase ausschalten. „Ein solcher Inhibitor muss jedoch auch dann noch wirksam sein, wenn Ejakulat und Spermien im weiblichen Fortpflanzungstrakt unterwegs sind“, erklären die Forschenden.

100-prozentige Wirkung bei Mäusen

Einen solchen Hemmstoff haben Balbach und ihr Team nun gefunden. In Versuchen mit männlichen Mäusen erwies sich der TDI-11861 getaufte Inhibitor als schnell und zuverlässig wirksam: Erhielten männliche Mäuse diesen Wirkstoff, blieben ihre Spermien mindestens zweieinhalb Stunden lang unbeweglich und zeugungsunfähig. Bei 52 Paarungen mit empfängnisbereiten Mäuseweibchen kam es innerhalb dieser Zeitspanne zu keiner einzigen Befruchtung und Schwangerschaft. Bei Mäusemännchen der Kontrollgruppe war nach dem Test ein Drittel ihrer Paarungspartnerinnen trächtig.

Die Wirkung des Hemmstoffs setzt dabei schnell ein, ist aber vollständig reversibel, wie weitere Tests ergaben. „TDI-11861 wirkt innerhalb von 30 Minuten bis einer Stunde“, berichtet Balbach. Schon acht Stunden nach Gabe des Mittels konnten einige Mäusemännchen wieder Nachkommen zeugen, nach 24 Stunden waren alle wieder zeugungsfähig. Auch ihre Spermien zeigten keine Fehlbildungen oder Verhaltensanomalien, wie das Team feststellte. Wichtig auch: Der Hemmstoff beeinflusste weder das Paarungsverhalten, die Potenz noch die Ejakulation.

Neue Chance für spontane, nichthormonelle Verhütung

Sollten sich diese Ergebnisse in weiteren Tests bestätigten, dann könnten solche Hemmstoffe künftig auch Männern neue Möglichkeiten der medikamentösen Verhütung eröffnen. „Unsere Studie demonstriert die Machbarkeit von zwei bahnbrechenden Paradigmen der menschlichen Verhütung: der nichthormonellen Verhütung beim Mann und der spontan einnehmbaren medikamentösen Empfängnisverhütung“, schreiben Balbach und ihre Kollegen. Damit unterscheide sich diese Strategie von allen anderen bisher erprobten pharmakologischen Methoden.

„Unsere Strategie hat das Potenzial, mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu schaffen und könnte – ähnlich wie damals die Antibabypille – die Familienplanung revolutionieren“, konstatieren die Forschenden. Denn dann könnten auch Frauen von der Last der hormonellen Verhütung und den damit oft verbundenen Nebenwirkungen befreit werden.

Kann das auch beim Menschen funktionieren?

Allerdings: Damit das Prinzip auch beim Menschen funktioniert, muss eine Besonderheit berücksichtigt werden. Wenn Spermien es nach der Ejakulation einmal geschafft haben, durch den Muttermund in die Gebärmutter einzudringen, können sie dort mehrere Tage überleben und zur Befruchtung führen. Weil der sAC-Hemmstoff nur wenige Stunden lang wirkt, muss er demnach zuverlässig verhindern, dass die Spermien die Passage durch den Muttermund schaffen. Denn in der Vagina werden sie durch das saure Scheidenmilieu schnell abgetötet.

Die Wissenschaftler sind aber zuversichtlich, dass das Prinzip ihres Hemmstoffs auch beim Menschen funktioniert. „Die Spermien müssen aktiv beweglich sein, um den Gebärmutterhals zu durchqueren und die Vagina zu verlassen“, erklären sie. „Unter Einfluss des sAC-Hemmstoffs sollte ihnen das nicht gelingen.“ Balbach und ihre Kollegen bereiten bereits weitere Tests mit anderen Tieren vor. Sollten auch diese erfolgreich sein, könnten erste klinische Studien am Menschen folgen. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-36119-6)

Quelle: Weill Cornell Medicine

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