Medizin

Neuer Ansatz im Kampf gegen multiresistente Erreger

Forscher identifizieren potentiellen Angriffspunkt für neue Antibiotika

Zwei Zellen des Staphylococcus aureus, augenommen mit einem TEM (Transmission Electron Microscope) © gemeinfrei/ Agricultural Research Service

Wissenschaftler haben möglicherweise ein neues Angriffsziel gegen multiresistente Keime identifiziert. Die auch als Krankenhauskeime bekannten Erreger können oft mit den herkömmlichen Antibiotika nicht mehr bekämpft werden. Daher müssen alternative Wege und Strategien entwickelt werden, die dennoch einen Schutz vor den gefährlichen Bakterien bieten. Eine Göttinger Forschergruppe hat jetzt die Funktion eines Schalthebels in der Proteinsynthese entschlüsselt. Dieser Syntheseweg ist bereits Ziel vieler herkömmlicher Medikamente, allerdings könne mit dem nun charakterisierten Faktor EF-P ein gezielterer Angriff erfolgen, was neue Möglichkeiten im Kampf gegen die besonders hartnäckigen Erreger eröffne, so berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“.

Bakterien in Krankenhäusern können zu einer großen Gefahr für Patientinnen und Patienten werden: Allein in Deutschland erkranken nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts jährlich bis zu 600.000 Menschen in Kliniken an einer bakteriellen Infektion, rund 150.000 sterben sogar daran. Ein wachsender Teil dieser Infektionen wird durch sogenannte multiresistente Erreger ausgelöst – Bakterien, die gegen Antibiotika unempfindlich geworden sind. Experten vermuten als Grund hierfür den zu unspezifischen Einsatz von Breitbandantibiotika in der Medizin, sowie deren weit verbreiteter Einsatz in der Tierzucht. Vom berühmt gewordenen Erreger MRSA etwa (Methylin-resistenter Staphyloccus Aureus) vermuten Genetiker, dass die ersten resistenten Stämme in der Viehzucht auftraten. Der vermehrte Einsatz von Antibiotika in diesem Bereich erhöht den Selektionsdruck. Das heißt: resistente Erreger-Stämme haben einen deutlichen Vorteil gegenüber ihren Antibiotika-sensitiven Verwandten und setzten sich somit durch.

Die Entwicklung von resistenten Stämmen kann durch die kurzen Generationszeiten der Bakterien zudem recht schnell fortschreiten. Deshalb befürchten Experten bereits seit Längerem, dass neue Antibiotika nicht schnell genug bereitgestellt werden könnten, um die neuen Krankheitserreger zu bekämpfen. Forscher arbeiten daher mit Hochdruck an der Entwicklung neuer Strategien.

EF-P unterstützt Attacke auf den Wirt

Die Arbeitsgruppe um Marina Rodnina vom Max-Planck-Institut Göttingen hat jetzt einen möglichen neuen Angriffspunkt im Kampf gegen die Bakterien identifiziert: den bakteriellen Faktor EF-P (Elongationsfaktor P). Sie fanden heraus, dass EF-P bei der Herstellung von Proteinen eine Schlüsselrolle spielt. Denn die mit Hilfe des Faktors produzierten Proteine sind offenbar für den Angriff von etwa EHEC oder den Salmonellen auf ihre Wirtszellen unentbehrlich. Fehlt Salmonellen oder EHEC das EF-P, sind, wie man bereits zuvor wusste, die Bakterien deutlich beeinträchtigt. Seine genaue Funktion in der Proteinherstellung war bisher allerdings unbekannt.

Kolonien des Krankenhauskeimes MRSA, aufegnommen mit einem SEM (Scanning Electron Microscope). © CDC

Mit strukturbiologischen Arbeiten hatte der Nobelpreisträger Tom Steitz von der Yale University zuvor gezeigt, dass EF-P an die Proteinfabriken der Zelle – die Ribosomen – bindet. Ribosomen fügen die einzelnen Aminosäuren – die Bausteine der Proteine – nach in den Genen gespeicherten Bauplänen aneinander. „Tom Steitz’ Versuche legen nahe, dass EF-P die Proteinproduktion in Bakterien irgendwie beeinflussen kann. Allerdings wissen wir, dass die meisten Proteine ganz ohne EF-P hergestellt werden“, sagt Rodnina. „Für uns war die spannende Frage: Haben wir bisher Proteine übersehen, die nicht auf dem bisher bekannten Weg produziert werden können und EF-P benötigen? Und wenn ja: Welche Proteine sind das?“

Prolinreiche Proteine brauchen EF-P

Für die Wissenschaftler begann die Suche nach der „Nadel im Heuhaufen“. In aufwendigen Laborexperimenten suchten sie systematisch nach Aminosäure-Kombinationen, die sich nur mithilfe von EF-P verknüpfen ließen und wurden fündig: Proteine, die mehr als zweimal hintereinander die Aminosäure Prolin enthielten, ließen sich nur mit EF-P effizient herstellen. „Prolin-reiche Proteine sind nicht nur für das Wachstum der Bakterien wichtig. Sie bilden auch gefährliche Angriffswerkzeuge von Salmonellen oder vom E. coli-Bakterium EHEC“, erklärt Ingo Wohlgemuthein Mitarbeiter Rodnindas. „Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass EF-P in der Tat ein weiterer wichtiger Faktor bei der Proteinproduktion ist, der in allen bisher untersuchten Bakterien vorkommt“, so der Forscher. So zeigte sich in den Untersuchungen bei rund 270 der insgesamt 4000 Bakterien-Proteine ein solches Aminosäuremuster.

Zwar ist die Proteinherstellung in Bakterien neben der Zellwandsynthese und der Vervielfältigung des Erbguts bereits seit Langem ein Hauptangriffsziel heutiger Antibiotika, die Forscher hoffen dennoch, dass der Angriff an einem neuen Schalthebel der Proteinsynthese die bereits bestehenden Resistenzen umgehen könnte. Dies wird sich jedoch erst in weiteren Untersuchungen zeigen müssen, denn Bakterien haben vielfältige Strategien solche Resistenzen zu erwerben. Durch Mutationen oder den Austausch von Genmaterial untereinander sind sie beispielsweise in der Lage die Arznei-Substanzen aus der Zelle herauszupumpen, sie gar nicht erst eindringen zu lassen, alternative Stoffwechselwege zu nutzen oder die Antibiotika direkt zu inaktivieren. (doi: 10.1126/science.1229017)

(Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie /Science, 17.12.2012 – KBE)

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