Gefährliche Multiresistenz: Wissenschaftler haben einen neuen multiresistenten Tuberkulose-Erreger in Europa entdeckt. Der Keim ist gegen vier gängige Antibiotika immun und damit besonders gefährlich. Auf unseren Kontinent gekommen ist das Bakterium mit Flüchtlingen aus Afrika. Es infizierte die Betroffenen wahrscheinlich in einem lybischen Flüchtlingscamp, stammt ursprünglich jedoch wohl aus Somalia.
Die Tuberkulose ist eine der großen Seuchen der Menschheit: Ihr Erreger befiel schon unsere afrikanischen Vorfahren und raffte in Europa zeitweilig sogar jeden Fünften dahin. Doch auch heute ist die Infektionskrankheit nicht besiegt: In den Entwicklungsländern sterben noch immer jährlich bis zu zwei Millionen Menschen daran.
Zwar lässt sich das Mycobacterium tuberculosis mit Antibiotika erfolgreich behandeln. Mangelnde Versorgung und der zunehmende Vormarsch resistenter Stämme erschweren den Kampf gegen den Erreger jedoch. Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang multiresistente Tuberkulosebakterien, gegen die bereits mehrere der gängigen Medikamente nicht mehr wirken.
„Neuartige Kombination von Resistenzen“
Eine bisher unbekannte Version eines solchen multiresistenten Keims haben Wissenschaftler nun bei Asylbewerbern identifiziert, die aus Ländern am Horn von Afrika nach Europa gekommen sind. Erstmals entdeckt wurde er in der Schweiz: „Der Erreger wies eine neuartige Kombination von Resistenzen gegen vier verschiedene Antibiotika auf, die noch nie beschrieben worden war“, berichtet Peter Keller vom Nationalen Referenzzentrum für Mykobakterien der Universität Zürich.
Zwischen Februar und November 2016 stellten die Forscher eine Infektion mit diesem Erreger bei insgesamt acht Flüchtlingen aus Somalia, Eritrea und Djibouti fest. Gleichzeitig diagnostizierte auch das deutsche Referenzlabor in Borstel bei Hamburg einen Fall mit dem gleichen Erreger. Alarmiert von der Häufung veranlassten Keller und seine Kollegen eine Warnung an sämtliche europäische Referenzzentren. Diese stießen in den folgenden Monaten auf insgesamt 21 Fälle mit dem neuen Keim.
Ursprungsort Somalia
Dank molekulargenetischer Untersuchungen und Interviews mit Patienten konnte der Verbreitungsweg des Erregers schließlich rekonstruiert werden: Die Daten weisen darauf hin, dass sich der Tuberkuloseerreger in einem libyschen Flüchtlingscamp bei Bani Waleed unter Migranten verbreitete. Das überfüllte Lager rund 180 Kilometer südöstlich von Tripolis ist berüchtigt für seine unhygienischen und menschenunwürdigen Verhältnisse. Etliche der diagnostizierten Tuberkulose-Patienten passierten das Camp auf ihrem Weg in Richtung Norden.
Wer am Anfang des Ausbruchs stand und das Bakterium ins Camp eingeschleppt hat, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit nachvollziehen. Als Ursprungsort des Erregers vermuten die Wissenschaftler den Norden Somalias. Dort dürfte der Tuberkuloseerreger aufgrund neuer Mutationen die gefährliche Resistenzkombination entwickelt haben.
Schnelltest verfügbar
Die weitere Verbreitung des Keims innerhalb von Europa konnte den Wissenschaftlern zufolge bislang erfolgreich verhindert werden. „Der außerordentliche Fall hat zum Aufbau einer europäischen Warnorganisation für gefährliche Tuberkuloseerreger geführt“, berichtet Keller.
Weil sein genetischer Bauplan bekannt ist, ist inzwischen zudem ein Schnelltest für den Erreger verfügbar. Damit können Personen, bei denen ein Verdacht auf diesen Tuberkulosekeim besteht, innerhalb von Stunden diagnostiziert werden. Bestätigt sich die Vermutung, müssen die Betroffenen umgehend isoliert werden und eine mehrmonatige Behandlung mit sogenannten Reservemedikamenten über sich ergehen lassen. (Lancet Infectious Disease, 2018; doi: 10.1016/S1473-3099(18)30004-5)
(Universität Zürich, 09.01.2018 – DAL)