Arzneimittelforschung

Neuer Virenhemmer aus dem Meer

Schwamm-Inhaltsstoff könnte gegen Covid-19-Erreger wirken

Aplysina aerophoba
Dieser Schwamm produziert antivirale Mittel. © Yoruno/ CC-by-sa 3.0

Potenzielles Mittel gegen SARS-CoV-2? Forscher haben einen Naturstoff entdeckt, der gegen das neuartige Coronavirus wirken könnte. Die von einem marinen Schwamm produzierten Substanzen hemmen offenbar das Wachstum viraler Erreger und können auch deren Eintritt in die Wirtszelle verhindern. Die wertvollen Wirkstoffe lassen sich bereits in so großen Mengen isolieren, dass sie für sofortige klinische Untersuchungen zur Verfügung stehen, wie das Team betont.

Ob Grippe, Aids oder Covid-19: Bei der Suche nach neuen Medikamenten gegen Viruserkrankungen werden Forscher immer wieder in der Natur fündig. In der Vergangenheit haben sie unter anderem potenzielle Virenhemmer in Dornhaien, Bananen und Mahagoni-Gewächsen entdeckt. Letztere enthalten den Naturstoff Silvestrol, der sogar gegen Coronaviren wirken könnte.

Naturstoff aus dem Goldschwamm

Von einem weiteren vielversprechenden Kandidaten berichten nun Björn Binnewerg von der Technischen Universität Dresden und seine Kollegen: dem Schwamm Aplysina aerophoba. Dieser auch als Goldschwamm bekannte Meeresbewohner wird schon seit mehreren Jahren intensiv erforscht. Denn er produziert sogenannte Bromtyrosine wie Aeroplysinin.

Die Art aus der Klasse der Hornkieselschwämme setzt diese Aminosäurederivate immer dann frei, wenn ihr Gewebe verletzt wurde und sie sich in der Folge gegen krankmachende Eindringlinge zur Wehr setzen will. Der Clou: Die Substanzen vernichten nicht nur eindringende Fremdkörper sofort, sie zeigen auch Wirkung gegen Bakterien und Viren – Grund genug, sich näher mit ihrem Potenzial als Mittel gegen Krankheitserreger zu beschäftigen.

Schwamm-Inhaltsstoff
Die Kristalle der Aeroplysinin-Substanz mit starker antiviraler Wirkung. © Hermann Ehrlich

Wirkung gegen RNA-Viren wie SARS-CoV-2

Bei ihren ersten Experimenten stellten die Wissenschaftler fest, dass bestimmte von dem Schwamm hergestellte Bromtyrosine sogar gegen multiresistente Bakterienstämme wirken – darunter die oft für im Krankenhaus erworbene Lungenentzündungen verantwortlichen Klebsiella pneumoniae.

Wie sie berichten, zeigte sich zudem: Einige der Naturstoffe wirken insbesondere auch gegen RNA-Viren – zu dieser Gruppe viraler Erreger gehört das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Offenbar hemmen die Wirkstoffe zum einen die Vermehrung der Viren und verhindern zum anderen deren Eintritt in die Wirtszellen. Dabei scheinen sie keine zytotoxischen Effekte auf menschliche Gewebezellen zu haben.

Isolierung mittels Mikrowellenstrahlung

Ob das Mittel wirklich bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2 helfen könnte, müssen nun klinische Studien zeigen – und genau die könnten schon bald möglich werden. Denn: „Es ist uns gelungen, diese bioaktiven Substanzen in einer rein kristallinen Form und in solchen Mengen zu isolieren, dass diese für sofortige klinische Untersuchungen zur Verfügung stehen“, sagt Mitautor Hermann Ehrlich von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. „Selbstverständlich sind wir in der aktuellen Situation offen für die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Behörden und Institutionen.“

Doch wie gelangt man an die antiviralen Wirkstoffe aus den Schwämmen? „Wir nutzen dafür Mikrowellenstrahlung, mit Hilfe derer die Bromtyrosine aus den Zellen und den Skelettfasern der Schwämme isoliert und extrahiert werden können“, erklärt Ehrlich. Für den Schwamm ist diese Methode vergleichsweise schonend. Denn es wird nur ein kleiner Teil seines Gewebes unter Wasser abgeschnitten. Der Organismus kann sich daraufhin wieder vollständig regenerieren.

Große Vorkommen im Mittelmeer

Aplysina aerophoba wächst seit über 500 Millionen Jahren in den flachen Küstengebieten warmer Meere. Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Schwammart liegt heute im europäischen Mittelmeer – insbesondere vor Montenegro, Kroatien und Albanien. Um das Potenzial dieser faszinierenden Meeresbewohner nutzen zu können, betreiben die Forscher seit einigen Jahren eine Schwammzuchtanlage in der montenegrinischen Adriastadt Kotor. (Materials Science and Engineering, 2020; doi: 10.1016/j.msec.2019.110566)

Quelle: Technische Universität Bergakademie Freiberg

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