Konditionierte Reaktion: Wer unter einer Allergie leidet, kann auch ganz ohne Pollen, Hausstaub und Co Beschwerden bekommen. Schuld ist der Nocebo-Effekt – die negative Variante des Placebo-Effekts. Demnach kann schon ein Schlüsselreiz oder ein bestimmter Ort ausreichen, um eine allergische Reaktion ganz ohne Allergen auszulösen, wie ein Experiment mit Heuschnupfen-Patienten bestätigt. Allerdings gibt es dabei Unterschiede.
Normalerweise bekommen Menschen mit Heuschnupfen, Asthma oder einer anderen allergischen Erkrankung nur dann Probleme, wenn sie mit dem Allergieauslöser in Kontakt kommen – ob Pollen, Hausstaub oder auch ein Lebensmittel. Das für diese Allergene sensibilisierte Immunsystem schüttet dann Antikörper und Botenstoffe aus, die die typischen Symptome verursachen.
Allergie-Reaktion ohne Allergen
Doch es geht auch anders: Schon im Jahr 1886 berichtete ein Mediziner über eine Frau die schon beim Anblick einer künstliche Rose einen Asthmaanfall erlitt. Seither haben mehrere Studien demonstriert, dass Allergiker gegenüber bestimmten Schlüsselreizen eine konditionierte Reaktion zeigen können: Ihr Immunsystem löst einen Allergieanfall aus, wenn sie einen durch Erfahrungen mit den Allergieauslöser verbundenen Reiz wahrnehmen – selbst wenn kein Allergen vorhanden ist.
Psychologen und Mediziner sprechen bei einer solchen negativen Reaktion ohne echten Auslöser von einem Nocebo-Effekt. Umgekehrt kann auch ein wirkstoffloses Placebo, als Antiallergikum deklariert, einen lindernden Placebo-Effekt bewirken. „Diese Beobachtungen unterstreichen die Bedeutung psychologischer Faktoren bei allergischen Erkrankungen“, sagen Luciana Besedovsky von der Universität Tübingen und ihre Kollegen.
Nasenspray für Heuschnupfen-Geplagte
Aber wie weit reicht die Macht der Psyche? Um das herauszufinden, haben die Forscher untersucht, ob schon der bloße Kontext – die räumliche Umgebung – für den allergischen Nocebo-Effekt ausreicht. Dafür baten sie 25 Heuschnupfen-Patienten am Abend in einen Versuchsraum. Alle erhielten per Nasenspray eine Dosis ihres Allergens, dem ein Duftstoff als Schlüsselreiz beigemischt war. Wie zu erwarten trat eine allergische Reaktion ein, das belegte auch der Anstieg des Marker-Enzyms Tryptase in der Nasenschleimhaut.
Die Hälfte der Probanden ging anschließend für acht Stunden schlafen, die zweite Hälfte musste bis zum kommenden Abend wach bleiben. Der eigentliche Test jedoch folgte eine Woche später: Wieder wurden die Probanden in den Versuchsraum gebeten, wo sie nach einer kurzen Wartezeit erneut das duftende Nasenspray erhielten. Diesmal jedoch ohne Allergen.
Reaktion auf Schlüsselreiz – und die Umgebung
Das Ergebnis: Das Immunsystem der Probanden reagierte auf das Pseudo-Nasenspray, wie ansteigende Enzymkonzentrationen in ihrer Nasenschleimhaut belegten. Diese Reaktion trat in einem ergänzenden Test auch dann auf, wenn das Nasenspray in anderer Umgebung verabreicht wurde, wie die Forscher berichten. Dies bestätige, dass ein Schlüsselreiz die Reaktion auslösen könne, in diesem Falle in Form des Duftstoffs.
Das Interessante jedoch: Diese Reaktion trat nicht nur beim Schlüsselreiz auf, sondern schon beim Anblick des Versuchsraums. „Ein Teil der Probanden reagierte schon kurz nach Betreten des Versuchsraums mit allergischem Schnupfen“, berichtet Besedovsky. „Das zeigt, dass eine allergische Reaktion nicht nur durch spezifische Reize, sondern auch schon durch Rückkehr in die Umgebung ausgelöst werden kann, in der man zuvor dem Allergen begegnet ist.“ Dies sei der erste Beleg für eine solche kontextabhängige Konditionierung.
„Erstaunlich ist, wie schnell das Immunsystem die fehlangepasste Reaktion erlernt. Im Experiment genügte eine einzige Allergengabe, um die allergische Reaktion mit der Umgebung zu verknüpfen“, sagt Besedovsky.
Schlaf ist entscheidend
Allerdings gab es dabei einen entscheidenden Unterschied: Während der Schlüsselreiz des duftenden Nasensprays in allen Probandengruppen und Umgebungen wirkte, reagierten nur die „Schläfer“ auf die Umgebung. Diejenigen, die nach dem ersten Durchgang nicht schlafen durften, tat dies dagegen nicht. „Wie bei vielen klassischen Lernprozessen spielte die Schlafphase in unserer Studie eine entscheidende Rolle. Nur so verknüpfte das Gehirn eine bestimmte Umgebung fest mit einer allergischen Reaktion“, sagt Seniorautor Jan Born.
Aber warum? Die Forscher erklären dies damit, dass für das Lernen von kontextabhängigem Verhalten der Hippocampus eine wichtige Rolle spielt. Dieses für das Gedächtnis wichtige Zentrum unseres Gehirns sortiert im Schlaf die Erfahrungen und überträgt sie in das Langzeitgedächtnis. Bei der evolutionär älteren Reaktion auf Schlüsselreize wird dagegen auch ohne Schlaf und Hippocampus-Beteiligung gelernt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.1920564117)
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen