Medizin

Omikron: Antikörper-Wirkung stark verringert

Erste Studien zeigen eine rund 40-fach geringere Neutralisation durch Impf-Antikörper

Omikron
Wie befürchtet, kann die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 den Antikörpern ausweichen. © Teka77/ Getty images

Immunflucht bestätigt: Die neue Omikron-Variante kann den Impfschutz zumindest in Teilen aushebeln, wie erste Tests nun bestätigen. Demnach ist die neutralisierende Wirkung von Antikörpern gegen das Coronavirus um das bis zu 40-Fache herabgesetzt. Eine Boosterimpfung oder eine Infektion plus Impfung scheint aber die Schutzwirkung gegen Omikron zu verbessern. Die zelluläre Immunabwehr scheint von der neuen Virusvariante hingegen weniger stark betroffen zu sein.

Seit dem Auftreten der neuen Coronavirus-Variante Omikron ist die große Frage: Wie gut wirken die Impfungen noch? Denn diese im Süden Afrikas aufgetauchte Virusform ist mit 50 Mutationen gegenüber dem Ursprungstyp von SARS-CoV-2 so stark verändert wie keine andere. Zudem gelten einige dieser Veränderungen am Spike-Protein schon länger als potenzielle Fluchtmutationen – sie verändern wichtige Erkennungsmerkmale des Virus so stark, dass einige durch Impfung oder Infektion gebildete Antikörper nicht mehr andocken können.

Ciesek: Neutralisation nach sechs Monaten gleich Null

Wie stark die Omikron-Variante den Immunschutz aushebelt, war allerdings bisher unbekannt. Jetzt haben drei Forscherteams erste, vorläufige Daten dazu veröffentlicht. Ein Team um Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt hat Proben einer am Frankfurter Flughafen mit Omikron diagnostizierten Person im Labor kultiviert und mit Antikörpern aus dem Serum von geimpften Menschen versetzt.

Das Ergebnis fasst Ciesek auf Twitter so zusammen: „2x Biontech, 2x Moderna, 1x AZ/1x Biontech nach sechs Monaten 0 Prozent Neutralisation bei Omicron“, schreibt die Virologin. Das bedeutet, dass die ein halbes Jahr nach der vollständigen Impfung ohnehin abschwächte Antikörper-Reaktion bei Omikron fast vollständig ausbleibt. Drei Monate nach einer Boosterimpfung lag die Neutralisation immerhin noch bei 25 Prozent, wie die Virologin mitteilt.

Insgesamt beziffert das Team die Verringerung der Wirkung gegenüber Delta auf das rund 37-Fache. „Die Daten bestärken, dass die Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffs sinnvoll ist“, schreibt Ciesek.

Antikörper-Reaktion um das 41-Fache abgeschwächt

Über ähnliche Resultate berichtet ein Team um Sandile Cele vom Africa Health Research Institute in Durban. Sie haben die Antikörper aus dem Blut von sechs mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer Geimpften und von sechs weiteren Geimpften, die zusätzlich eine frühere Corona-Infektion durchlebt hatten, auf ihre Wirkung gegenüber Omikron getestet.

Das Ergebnis: Die neutralisierende Wirkung der Antikörper war gegenüber Omikron um das 41-Fache reduziert, wie das Team berichtet. Etwas besser sah es allerdings bei den Proben der vor der Impfung Infizierten aus: Bei fünf von sechs Proben wirkten die Antikörper auch gegen Omikron noch gut, sie erreichten eine relativ hohe Neutralisationsrate. „Eine Infektion gefolgt von der Impfung oder alternativ eine Boosterimpfung können demnach die Neutralisation verbessern und wahrscheinlich auch bei Omikron vor schweren Verläufen von Covid-19 schützen“, schreiben die Forscher.

Ebenfalls auf eine 40-fache Verringerung der Neutralisation kommen Forscher um Daniel Sheward vom Karolinska Institut in Stockholm. Sie hatten ihre Tests mit einer künstlich hergestellten Form des Virus durchgeführt. Auch BioNTech hat inzwischen vorläufige Ergebnisse veröffentlicht, die ebenfalls auf Pseudoviren beruhen. Demnach ist die Neutralisation von Omikron durch Antikörper schon einen Monat nach der zweiten Impfdosis stark abgeschwächt. Einen Monat nach einer Boosterimpfung hingegen lag sie noch bei gut der Hälfte im Vergleich zu Delta. 

Was heißt dies für unseren Impfschutz?

„Diese ersten Daten zur Neutralisationswirkung von Antikörpern und Impfseren zu Omikron bestätigen leider unsere Erwartung einer starken Immunevasion dieser Variante“, sagt der Virologe Leif Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Es zeichnet sich deutlich ab, dass sechs Monate nach der zweiten Impfung unzureichende neutralisierende Antikörper gegen die Omikron-Variante vorliegen.“

Klar scheint damit, dass vor allem Menschen mit länger zurückliegender Impfung schlechter gegen Omikron geschützt sind als gegen die bisherigen Virusvarianten. „Die Daten zeigen, dass selbst zweifach Geimpfte oft nicht genügend Antikörper haben, um Omikron zu neutralisieren. Das bedeutet, dass wir mit Omikron noch mehr Durchbruchsinfektionen sehen werden“, erklärt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Die Inzidenzen könnten daher noch mal deutlich steigen.“

Schutz vor schweren Verläufen bleibt

Allerdings heißt dies nicht, dass die Impfung komplett umsonst war: Der Impfschutz beruht nicht nur auf Antikörpern, sondern zu einem großen Teil auch auf der zellulären Immunabwehr in Form von T-Zellen. Inwieweit ihre Schutzwirkung durch Omikron auch abgeschwächt wird, wird noch untersucht. Virologen halten es aber für wahrscheinlich, dass die T-Zellantwort robuster auf Omikron reagiert. „Wir denken, dass die T-Zell-Immunität weniger stark von den vielen Mutationen der Omikron-Variante betroffen sein wird“, sagt Jonathan Ball von der University of Nottingham.

Bestätigt wird dies durch vorläufige Ergebnisse von BioNTech: Laut deren Tests sind 25 der 31 von den T-Zellen und B-Gedächtniszellen genutzten Erkennungsmerkmale des Coronavirus bei Omikron nicht verändert. Das lege nahe, dass der Schutz gegen schwere Verläufe auch nach zwei Impfdosen weiterhin bestehen bleibe, so das Unternehmen. Konkret bedeutet dies, dass die Impfungen zwar weniger gut vor einer erneuten Ansteckung bewahren. Sie könnten aber weiterhin vor einem schweren Verlauf von Covid-19 schützen.

„Ich bin noch immer zuversichtlich, dass die Impfstoffe vor schwerer Erkrankung schützen – vor allem nach einer dritten Impfdosis“, sagt Ball. Ähnlich sieht es Sandra Ciesek: Sie verweist darauf, dass eine abgeschwächte Wirksamkeit der Antikörper allein noch nichts darüber aussagt, wie gut man vor einem schweren Verlauf geschützt ist.

Boostern trotzdem sinnvoll

Die Daten zeigen zudem, dass eine Boosterimpfung die Schutzwirkung in jedem Fall verbessert – selbst wenn die jetzigen Vakzine noch nicht an Omikron angepasst sind. Weil die dritte Dosis die Antikörpermenge noch einmal stark erhöht, gleicht dies die geringere Neutralisationswirkung aus. „Eine Auffrischung der Impfimmunität ist aktuell umso wichtiger, da dadurch auch die zelluläre Immunität geboostert wird, was sicher gegen Omikron wichtig ist“, sagt Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Auch Watzl und Ciesek raten daher all denjenigen, bei denen jetzt eine Auffrischungsimpfung fällig wäre, nicht auf angepasste Vakzine zu warten: „Da diese angepassten Impfstoffe frühestens nächstes Jahr im Februar oder März kommen werden, sollte man nicht darauf warten, sondern sich jetzt impfen oder boostern lassen“, sagt Watzl.

Vakzine müssen angepasst werden

Längerfristig müssen die Corona-Impfstoffe allerdings an Omikron angepasst werden. „Meiner Meinung nach wird es notwendig sein, die Impfstoffe anzupassen. Ein Booster mit einem angepassten Impfstoff würde genau die Gedächtniszellen stimulieren, die Antikörper produzieren, die auch Omikron neutralisieren können“, sagt Watzl. Für die mRNA-Impfstoffe geht dies relativ schnell, BioNTech kündigte bereits an, dass man neue Versionen des Vakzins innerhalb von 100 Tagen auf den Markt bringen kann.

Angesichts der ungewöhnlich zahlreichen Mutationen der Omikron-Variante gibt Timm dabei zu bedenken: „Bei der Anpassung der Impfstoffe sollte aus meiner Sicht auch überlegt werden, ob das Spike-Protein als Zielantigen ausreichend ist oder ob die Immunität durch Hinzunahme weiterer Virusproteine breiter aufgestellt werden kann.“ Denn die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 ist allein am Spike-Protein an gut 30 Stellen verändert. (MedRxiv Preprint (PDF), Preprint PDF, Twitter)

Quelle: Science Media Centre, Preprints

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