Gerade ältere Patienten schlucken oft unnötige Arzneimittel: Rund ein Drittel ihrer Verschreibungen sind überflüssig, viele erhalten zudem zu hohe Dosierungen. Das ist ein Ergebnis einer Vorabstudie deutscher Forscher. Den Grund für diesen Missstand sehen sie in einer Überforderung der Hausärzte. Sie wollen daher nun eine elektronische Entscheidungshilfe für Hausärzte entwickeln.
Gerade bei älteren Menschen werden Medikamente unnötigerweise gegeben oder zu viele. Das Ergebnis ist „Polypharmazie“ – ein Pillencocktail mit negativen Folgen für den Patienten. Im günstigsten Fall sind dies nur reversible Nebenwirkungen, aber nicht selten hat der Pillenüberschuss gerade bei älteren Patienten unnötige Krankenhausaufnahmen oder gar Todesfälle zur Folge. Studien aus den Niederlanden, Österreich und anderen Ländern zeigen beispielsweise, dass zwischen fünf und zehn Prozent aller internistischen Krankenhausaufnahmen von älteren Patienten auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen sind.
Im Schnitt zwei unnötige Arzneimittel
Um festzustellen, wie gravierend die Über-Medikamentierung in Deutschland ist, führten Wissenschaftler vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Witten/Herdecke eine Vorabstudie mit 169 Probanden aus 22 allgemeinmedizinischen Praxen durch. Es handelte sich um ältere Patienten, die im Durchschnitt neun verschiedene verschreibungspflichtige Arzneimittel einnahmen. Die Forscher prüften, wo Überdosierungen, unnötige Verschreibungen oder Kreuzwirkungen bei den Mitteln vorlagen.
Das Ergebnis: Im Durchschnitt nahm jeder Proband 2,7 Medikamente ein, die nach medizinischen Maßstäben unnötig wären. Darüber hinaus fanden sich bei mehr als der Hälfte der Patienten Dosierungsfehler, bei 59 Prozent gab es unerwünschte oder unerkannte Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten. Mehr als ein Drittel der Patienten über 65 Jahren hatte zudem Arzneimittel verschrieben bekommen, die bei alten Menschen nicht verordnet werden sollten.
Hausärzte sind überfordert
„Die Hausärzte fühlen sich überfordert. Wie sollen sie die langen Medikationslisten, mit denen Patienten aus der Klinik entlassen werden oder von verschiedenen Fachärzten zurückkommen, kritisch durchforsten?“, fragt Studienleiter Andreas Sönnichsen. „Wie sollen sie entscheiden, welches Medikament wirklich erforderlich ist?“
In einer neuen europaweiten Studie wollen die Forscher hier Abhilfe schaffen. Ihr Ziel ist es, eine elektronische Entscheidungshilfe für Hausärzte zu entwickeln, die ihnen Vorschläge dazu macht, welche Medikamente am ehesten entbehrlich oder gar schädlich sind. Ermittelt werden die Informationen dabei unter Berücksichtigung von Diagnosen, Laborwerten und Begleiterkrankungen des jeweiligen Patienten. Diese Studie läuft in den nächsten Wochen an.
(Universität Witten/Herdecke, 15.11.2013 – NPO)