Mehr als 100 Jahre lang ging man davon aus, dass sich der Penicillin-produzierende Schimmelpilz nur ungeschlechtlich über Sporen vermehrt. Doch das stimmt nicht: Ein internationales Forscherteam hat erstmals gezeigt, dass der Pilz auch einen Sexualzyklus, also zwei Geschlechter besitzt. Diese Entdeckung kann genutzt werden, um Pilzstämme mit neuen biotechnologisch relevanten Eigenschaften zu züchten – etwa mit einer hohen Penicillin-Produktion ohne die normalerweise verunreinigenden Beiprodukte, wie die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Vor etwa 100 Jahren wies Alexander Fleming bei Penicillium chrysogenum die Bildung von Penicillin nach. Bis heute ist kein anderer Produzent des Antibiotikums Penicillin bekannt, das einen jährlichen Weltmarkwert von circa sechs Milliarden Euro besitzt. Obwohl der Pilz heute wegen seiner medizinischen Wirkung weltweit in Kulturen gehalten wird, war von ihm bisher keine sexuelle Form bekannt. Man ordnete ihn daher den sogenannten Fungi imperfecti zu – den Pilzen, die möglicherweise keine sexuelle Vermehrung kennen.
Sporen statt Sex
Stattdessen verbreitet sich Penicillium – ähnlich wie die meisten Schimmelpilze – über Sporen, die beispielsweise als weiße, grüne oder schwarze Beläge auf verdorbenen Speisen auftreten. Diese Sporen tragen jedoch immer nur die Gene eines Elternpilzes in sich. Und genau dies ist der Nachteil. Denn bei der sexuellen Vermehrung werden die Gene beider Elternteile in den Nachkommen neu gemischt. Sie besitzen dadurch eine Kombination der Gene beider Paarungspartner und somit neue Eigenschaften. Für die Zucht neuer, effektiver Penicillin-Lieferanten wäre dies ein großer Vorteil. Das internationale Forscherteam hat jetzt erstmals genau dies ermöglicht.
Frühere Studien hatten bereits ergeben, dass asexuelle Pilze manchmal dazu gebracht werden können, auf Sex umzusteigen, wenn ihre Wachstumsbedingungen auf bestimmte Weise verändert werden. Das Problem ist aber, die auslösenden herauszufinden. Auch bei Penicillium deutete einiges darauf hin, dass dies möglich sein könnte. „Wir haben bereits vor fünf Jahren die Existenz sogenannter Geschlechtsgene bei Penicillium chrysogenum nachgewiesen“, sagt Studienleiter Ulrich Kück von der Ruhr-Universität Bochum. Das legte nahe, dass der Pilz grundsätzlich die Anlagen zur sexuellen Fortpflanzung besitzt.
Dunkelheit und Vitamin B
Jetzt ist es dem Forscherteam gelungen, die speziellen Umweltbedingungen zu finden, unter denen sich der Schimmelpilz tatsächlich geschlechtlich vermehrt. Entscheidend war, die Pilze im Dunkeln unter Sauerstoffmangel auf einem Nährmedium anzuziehen, dem das Vitamin Biotin zugefügt worden war. Sowohl auf der molekularen Ebene, als auch in ihren äußeren Merkmalen zeigten die Nachkommen neue Eigenschaften.
Mit sogenannten Mikroarray-Analysen untersuchten die Biologen außerdem die Aktivität aller rund 12.000 Gene des Schimmelpilzes. Das Ergebnis: Die Geschlechtsgene kontrollieren auch die Aktivität von biotechnologisch relevanten Genen, zum Beispiel jenen für die Penicillin-Produktion. Das erhöht die Chance, dass gezielte Zucht die Gewinnung dieses Arzneistoffs erleichtern und verbessern könnte.
„Wir vermuten, dass sich die Erkenntnisse auch auf andere Schimmelpilze übertragen lassen“, sagt Kück. Bestätigt sich dies, könnte man auch Arten wie Penicillium citrinum und Aspergillus terreus durch sexuelle Vermehrung und Züchtung gezielt verbessern. Aus diesen Pilzen werden cholesterinsenkende Statine hergestellt. Ähnlich gilt für Penicillium brevicompactum und Tolypocladium inflatum, die immunhemmende Wirkstoffe produzieren, die bei Organtransplantationen Einsatz finden. (PNAS, 2013; doi: 10.1073/pnas.1217943110)
(Ruhr-Universität Bochum, 09.01.2013 – NPO)