Hoffnung für Menschen mit Multipler Sklerose: Ein pflanzliches Peptid hat bei Mäusen das Fortschreiten der Autoimmun-Erkrankung aufgehalten. Die Tiere entwickelten keine neuen Schübe und die Symptome verbesserten sich, wie Forscher berichten. Das Pflanzenmittel kann zudem oral verabreicht werden und löste keine Nebenwirkungen aus. Die Wissenschaftler hoffen, schon 2018 erste klinische Studien mit Menschen durchführen zu können.
Bei der Multiplen Sklerose greifen aggressive T-Zellen des Immunsystems irrtümlich die isolierenden Myelinhüllen der Nervenfasern an. Dadurch werden Nerven beschädigt und die Nervenleitung gestört, es kommt schubweise zu den typischen Lähmungserscheinungen. Zwar gibt es bereits einige Arzneimittel, die das Fortschreiten der Autoimmun-Erkrankung bremsen und neue Schübe verhindern können. Diese müssen jedoch oft intravenös verabreicht werden und haben teilweise beträchtliche Nebenwirkungen.
Naturstoff gegen aggressive Killerzellen
Eine weitaus schonendere Alternative könnten Kathrin Thell von der Medizinischen Universität Wien und ihre Kollegen entdeckt haben. Bereits vor einigen Jahren hatten sie bei Versuche mit Zellkulturen herausgefunden, dass ein Naturstoff die Vermehrung der aggressiven T-Zellen hemmen kann. Das ringförmige pflanzliche Peptid aus der Gruppe der Cyclotide erreicht dies, indem es die Freisetzung des Botenstoffs Interleukin-2 hemmt.
Die heilsame Wirkung dieses Pflanzenpeptids haben Forscher nun auch in Versuchen mit Mäusen getestet – und das mit Erfolg. Für ihre Studie synthetisierten sie zunächst das Pflanzenpeptid mit dem Namen [T20K]kB1 chemisch im Labor. Dieses verabreichten sie Mäusen, die an einer MS-ähnlichen Autoimmunkrankheit litten, in einer Dosis von 20 Milligramm Peptid pro Kilogramm Körpergewicht oral.
Keine Schübe, gebesserte Symptome
Nach einigen Tagen zeigten sich deutliche Unterschiede zu den unbehandelten Kontrollmäusen, wie die Forscher berichten: Die Tiere entwickelten weniger Entzündungsherde im Gehirn und kaum Symptome. „Schon die einmalige orale Gabe des Wirkstoffs hat die Symptome sehr stark verbessert. Es kam zu keinen Schüben der Erkrankung“, berichtet Seniorautor Christian Gruber von der Medizinischen Universität Wien. Negative Nebenwirkungen seien bei den Mäusen nicht aufgetreten.
In näheren Analysen zeigte sich, dass das Pflanzenpeptid im lebenden Tier wie bei den Zellkulturen die Vermehrung der T-Zellen und die Interleukin-Freisetzung hemmte – und dies sogar effektiver als bei einem bereits eingesetzten MS-Medikament. „Unseres Wissens ist das der erste Beleg dafür, dass Cyclotide in oraler Gabe gegen diese MS-ähnliche Erkrankung bei Mäusen effektiv wirken“, so die Forscher.
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Wirkung auch beim Menschen wahrscheinlich
Nach Ansicht der Forscher lassen diese Ergebnisse darauf hoffen, auch beim Menschen Multiple Sklerose in einer sehr frühen Phase stoppen oder ihre Entwicklung zumindest stark verlangsamen zu können. „Sobald funktionelle neurologische Defizite auftreten und erste krankheitsbedingte Veränderungen im Zentralnervensystem sichtbar sind, könnte man das Medikament zur Basistherapie verabreichen“, sagt Gruber.
Der große Vorteil dabei: „Die einzigartige 3D-Faltung dieser cyclischen Peptide verleiht ihnen eine Stabilität, die chemischer, enzymatischer und thermischer Degradation widersteht“, erklären die Forscher. Das aber bedeutet, dass diese Substanzen auch oral, beispielsweise in Tablettenform, aufgenommen werden können, ohne dass sie im Magen zersetzt werden und ihre Wirkung verlieren.
Patent angemeldet
Basierend auf den neuen Ergebnissen hat die MedUni Wien bereits zusammen mit dem Universitätsklinikum Freiburg Patente für das Pflanzenpeptid in mehreren Ländern angemeldet, und die Entwicklung eines Medikaments an die eigens gegründete Firma Cyxone auslizensiert. Eine erste klinische Studie der Phase I könnte nach Einschätzung der Forscher bereits Ende 2018 starten.
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten sich Pflanzenpeptide aus der Gruppe der Cylotide aber auch bei weiteren Erkrankungen als heilsam erweisen, die durch ein überaktives, fehlgeleitetes Immunsystem gekennzeichnet sind, wie etwa der rheumatoiden Arthritis. „Wir glauben, dass die reiche Vielfalt der Cyclotide sie zu einer wahren Fundgrube für die Medikamenten-Entdeckung macht“, so Thell und ihre Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1519960113)
(Medizinische Universität Wien, 30.03.2016 – NPO)