Abwarten oder sofort behandeln? Bei dieser Entscheidung könnte Prostatakrebs-Patienten und ihren Ärzten künftig ein Computermodell helfen. Dieses neue Prognose-Werkzeug analysiert charakteristische Mutationen und Genaktivitätsmuster im Krebsgewebe – und trifft auf Basis dieser Informationen Vorhersagen über den wahrscheinlichen Krankheitsverlauf. Auf diese Weise kann in Zukunft besser zwischen aggressiven und eher harmlosen Tumoren unterschieden werden, wie Forscher berichten.
Prostatakrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen älterer Männer und die dritthäufigste Ursache für krebsbedingte Todesfälle. Allein in Deutschland wird diese Tumorform bei rund 60.000 Männern pro Jahr neu diagnostiziert. Viele der Betroffenen stehen dann vor einer schwierigen Entscheidung: Unterziehen sie sich sofort einer Therapie mit möglicherweise erheblichen Nebenwirkungen – oder entschließen sie sich, zunächst abzuwarten?
Spurensuche im Erbgut
Das Problem dabei: Bisher war es nur schwer möglich, zwischen eher harmlosen, langsam voranschreitenden und aggressiven Typen von Prostatakrebs zu differenzieren. Um Kriterien für diese Unterscheidung zu identifizieren und Patienten künftig besser beraten zu können, haben Wissenschaftler um Clarissa Gerhäuser vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg nun nach Hinweisen im Genom von Prostatatumoren gesucht.
Für ihre Studie analysierten sie die Sequenz und die chemischen Veränderungen der Erbinformation sowie die Genaktivität im Gewebe von fast 300 Krebspatienten. Durch den Vergleich von frühen und weiter fortgeschrittenen Tumoren konnten sie dabei beobachten, wie sich eine Prostatazelle auf dem Weg zur Entartung verändert – und welche Mutationen typisch für besonders aggressive Varianten sind.
Vier Subtypen
Die Auswertungen zeigten unter anderem, dass die meisten frühen Mutationen auf das Konto bestimmter Enzyme gehen. Diese Gruppe der sogenannten APOBEC-Enzyme ist ein Bestandteil des angeborenen Immunsystems von Säugetieren und bereits in der Vergangenheit als Ursache krebsfördernder Mutationen aufgefallen. Außerdem stießen die Forscher auf ein bisher unbekanntes Krebsgen: Eine Mutation in diesem ESRP1-Gen scheint mit sehr schnell wachsendem und hochaggressivem Prostatakrebs assoziiert zu sein.
Auf Basis dieser und weiterer Ergebnisse konnten Gerhäuser und ihre Kollegen die Tumore in vier Subtypen aufteilen, die sich im Verlauf der Erkrankung unterscheiden. Ihre Erkenntnisse nutzten sie schließlich für die Entwicklung eines Computermodells, das künftig eine bessere Prognose des Krankheitsverlaufs erlaubt: „Wenn der Tumor eines Patienten eine bestimmte Mutation aufweist, können wir nun vorhersagen, welche Mutation voraussichtlich als nächstes auftreten wird – und wie gut die Prognose des Patienten ist“, erklärt Mitautor Thorsten Schlomm von der Berliner Charité.
Weiter optimieren
Um die Verlässlichkeit des neuen Prognose-Werkzeugs weiter zu optimieren, werden die Wissenschaftler in den kommenden Jahren zusätzliche Daten von einigen tausend Patienten sammeln und in das Modell einfließen lassen. Parallel soll das Verfahren bereits sukzessive im Universitätsklinikum Berlin eingeführt werden.
„Unser Team arbeitet derzeit daran, das Computermodell an der Charité in die Behandlungsstrategie einzubinden, um vor einer Therapie deren Erfolg zu simulieren. Wir rechnen mit einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren, bis das algorithmenbasierte Vorgehen vollständig etabliert ist“, schließt Schlomm. (Cancer Cell, 2018; doi: 10.1016/j.ccell.2018.10.016)
Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum/ Charité Universitätsmedizin Berlin