Es ist eine Art Meilenstein der Mumienforschung: Forscher haben erstmals bei der Gletschermumie „Ötzi“ Proteine aus dessen Gewebe isoliert und bestimmt. Dadurch konnten sie klären, dass der vor mehr als 5.000 Jahren gestorbene Steinzeit-Mensch vor seinem Tod zwei Blutergüsse im Gehirn erlitt – möglicherweise ein Indiz dafür, dass er nicht durch den Pfeilschuß in die Schulter starb, sondern durch einen Schlag auf den Kopf oder einen Sturz.
Die Todesursache der Gletschermumie „Ötzi“ sorgt nach wie vor für Rätselraten. Im Jahr 2007 hatten Forscher während der Untersuchung seines Schädelbruchs zwei dunkel verfärbte Stellen im hinteren Teil des Großhirns entdeckt. Nach einer Computertomografie von Ötzis Gehirn wurde vermutet, dass ein Angreifer ihm einen Schlag auf die Stirn versetzt habe und dass durch den Schlag das Gehirn an den Hinterkopf geprallt sei und dies zu den dunklen Stellen als Folge von Blutergüssen geführt habe. Ob das allerdings stimmt, wurde seither nicht näher analysiert.
Das haben Frank Maixner vom EURAC-Institut für Mumien und den Iceman und seine Forscherkollegen Andreas Keller von der Universität des Saarlandes) und Andreas Tholey von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nun nachgeholt. Sie führten parallel verschiedene Analysen mit Gewebeproben durch, die aus den fraglischen Stellen entnommen worden waren. Dazu hatten Forscher über zwei bereits vorhandene kleine Zugangslöcher mit Hilfe einer computergesteuerten Endoskopie zwei nur stecknadelkopfgroße Proben nentnommen.
Indiz für Bluterguss durch Schlag oder Sturz
Vor allem die Erforschung der in den Geweben enthaltenen Proteine lieferte unerwartet viele Informationen. Die Forscher fanden neben Gehirnproteinen auch Proteine roter Blutkörperchen. Gleichzeitig bestätigten auch die mikroskopischen Untersuchungen das Vorhandensein von äußerst gut erhaltenen neuronalen Zellstrukturen und verklumpten Blutzellen. Dies bewies den Forschern zum einen, dass es sich im ansonsten nahezu blutleeren Leichnam bei den dunklen Stellen um Blutergüsse handeln könnte, die sich Ötzi unmittelbar vor seinem Tod geholt hat. Ob durch einen Schlag auf die Stirn oder einen Sturz infolge der Pfeilverletzung, bleibt ungelöst.
Zum anderen belegen die Funde, dass es sich bei dem entnommenen Probenmaterial tatsächlich um Gehirngewebe handelte – sogar mit klar erkennbaren Ötzi-spezifischen Mustern – und nicht um Ablagerungen, die sich über die Jahrtausende gebildet hatten. Und es zeugte davon, dass sich das Gehirn des Ötzi außergewöhnlich gut erhalten hatte.
Methode eröffnet neue Möglichkeiten auch bei anderen Mumien
Was für Laien wenig spektakulär klingen mag, ist für die Forscher ein Meilenstein: „Mithilfe neuer Methoden zur Proteinanalyse haben wir zum ersten Mal eine solche Art der Proteinforschung an menschlichem mumifiziertem Weichgewebe durchgeführt und aus dieser kleinsten Probe einen gewaltigen Datensatz an Informationen herausholen können, die in Zukunft noch viele weitere Antworten liefern können“, unterstreicht das Forscherteam.
Denn während viele DNA-Proben von Mumien aufgrund der Abbauprozesse unbrauchbar sind, finden sich im Gewebe oft noch Proteine, die gut analysiert werden und wertvolle Informationen liefern können, wie Tholey erklärt: „Proteine sind die eigentlichen Player in Geweben und Zellen, durch die die meisten Prozesse in Zellen durchgeführt werden. Die Kenntnis der vorhandenen Proteine ist somit ein Schlüssel zum Verständnis des funktionellen Potentials eines Gewebes. Im Unterschied zur DNA, die in allen Zellen des Körpers gleich ist, zeigen uns Proteine, was genau an ganz spezifischen Orten im Körper wirklich abläuft.“
Die Proteinanalytik erweist sich an mumifiziertem Gewebe damit als besonders wertvolle Ergänzung zur DNA-Forschung: „Die Erforschung von Mumiengewebe birgt großes Frustpotential: Die Proben sind oft zerstört, verschmutzt und bringen auch nach mehreren Anläufen mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden keine Ergebnisse“, erklärt Maxiner. „Wenn man sich vorstellt, dass wir wirklich abgelaufene Prozesse im Gewebe eines Menschen nachweisen konnten, der vor mehr als 5.000 Jahren gelebt hat, kann man sich auch vorstellen, was es für uns Forscher bedeutet, dass wir nach unzähligen ergebnislosen Anläufen drangeblieben sind. Es hat sich gelohnt.“
Neben einer Magenprobe des äußerst gut erhaltenen Ötzi sollen nun mehr als ein Dutzend Gewebeproben von weniger gut erhaltenen Mumien aus der ganzen Welt mit der neuen Forschungsmethode auf Proteinebene untersucht werden und Erkenntnisse liefern, die bislang nicht möglich waren. Die Ergebnisse der Studie sind vom Journal „Cellular and Molecular Life Sciences“ kürzlich publiziert worden.
(Europäische Akademie Bozen, 10.06.2013 – NPO)