Erhöhte Anfälligkeit: Forschende haben erstmals einen genetischen Risikofaktor entdeckt, der seine Träger anfälliger für Long Covid macht. Er erhöht das Risiko für Long und Post Covid um das 1,6-Fache, wie genomweite Assoziationsstudien ergaben. Die neu identifizierten DNA-Abschnitte liegen nahe am FOXP4-Gen, das für die Funktion von Lungenbläschen und verschiedenen Immunzellen wichtig ist und das auch das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöht, wie die Wissenschaftler in einem Preprint berichten.
Warum entwickeln einige Menschen nach der akuten Coronavirus-Infektion langanhaltende Spätfolgen, andere dagegen nicht? Bisher ist diese Frage erst in Teilen geklärt. So gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Symptomkombinationen und Protein-Biomarker das spätere Long-Covid-Risiko erhöhen. Außerdem scheinen einige epigenetische Erbgut-Anhänge der Betroffenen auf charakteristische Weise verändert.
Doch welche Mechanismen der Anfälligkeit für Long Covid zugrunde liegen und ob einige davon möglicherweise genetisch bedingt sind, ist offen. Erschwerend kommt hinzu, dass es verschiedene Formen und möglicherweise auch Auslösemechanismen von Long Covid beziehungsweise Post Covid gibt.
Genomweite Vergleichsstudie
Jetzt könnte ein internationales Team um Vilma Lammi vom Institut für molekulare Medizin in Finnland einen ersten genetischen Risikofaktor für Long Covid identifiziert haben. Aufgespürt haben sie ihn im Rahmen eines größeren Projekts, das mittels genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) nach Risikogenen für schwere Verläufe von Covid-19 gefahndet hat. Lammi und ihre Kollegen haben nun einen Teil dieses Datenmaterials genutzt, um nach Risikogenvarianten für Long Covid zu suchen.
Für ihre Studie verglichen sie die Genome von 6.450 Menschen mit Long Covid und mehr als einer Million Kontrollpersonen, von denen ein Teil nie mit Corona infiziert war, ein anderer Covid-19 folgenlos überstand. Die genetischen Daten stammten von 24 Studien in 16 verschiedenen Ländern. In ihrer Analyse untersuchten die Forschenden, ob bestimmte Genvarianten bei den Long-Covid-Patienten signifikant häufiger vorhanden waren als in den beiden Kontrollgruppen.
Signifikanter Risikofaktor am FOXP4-Gen
Das Ergebnis: „Wir haben eine genomweit signifikante Assoziation innerhalb des FOXP4-Genorts entdeckt“, berichten Lammi und ihr Team. In diesem DNA-Abschnitt auf dem sechsten Chromosom traten mehrere Sequenzvarianten besonders häufig bei den Long-Covid-Patienten auf. Diese Varianten lagen allesamt in unmittelbarer Nähe des FOXP4-Gens und erhöhen das Risiko für Long Covid um etwa das 1,6-Fache, wie die Forschenden ermittelten.
In ergänzenden Analysen untersuchten Lammi und ihre Kollegen, in welchen Zellen das FOXP4-Gen aktiv ist und welche Funktion es hat. Demnach wird dieses Gen in einer Reihe von Geweben ausgelesen, darunter auch verschiedenen Lungenzellen. „Wir haben die höchste Ableseaktivität in Typ-2-Alveolarzellen gefunden, einem Zelltyp in Lungenbläschen, der an der Immunreaktion der Lunge beteiligt ist“, berichtet das Team. Das Gen stehe zudem im Verdacht, eine Vernarbung (Fibrose) der Lunge und Atemwege zu begünstigen.
Außerdem ist das FOXP4-Gen auch in den Schleimhäuten des Verdauungstrakts und in verschiedenen Abwehrzellen des Immunsystems aktiv, darunter den T-Killerzelle, den B-Zellen und den regulatorischen T-Gedächtniszellen.
Effekt auf Immunsystem und Lunge
Diese Beobachtungen könnten dafür sprechen, dass die Verbindung zwischen FOXP4 und Long Covid sowohl auf die Lungenfunktion wie die Immunologie zurückgeht“, konstatieren Lammi und ihre Kollegen. Dazu passt auch, dass dieses Gen in der übergeordneten Hauptstudie bereits als Risikofaktor für schwere Verläufe von Covid-19 identifiziert wurde. „Allerdings war der Effekt auf Long Covid stärker als man allein durch diese Anfälligkeit bei der akuten Covid-19-Erkrankung erwarten würde“, erklärt das Team.
Nach Ansicht der Forschenden legt dies nahe, dass der FOXP4-Genort einen genetischen Risikofaktor für Long Covid darstellt, der die Anfälligkeit für Spätfolgen auch unabhängig von seinem Effekt bei der akuten Infektion erhöht. Außerdem liefere die Identifizierung dieser Risikovarianten nun neue Hinweise auf die genbiologischen Mechanismen hinter Long Covid, so die Wissenschaftler. „Weitere Studien werden sicher die Zahl der bekannten Risikovarianten noch erhöhen und könnten dann auch die biologischen Mechanismen hinter Long Covid weiter klären helfen.“ (MedRxiv Preprint, 2023; doi: 10.1101/2023.06.29.23292056)
Quelle: MedRxiv