Autonom durchs Herz: Forscher haben einen robotischen Katheter entwickelt, der eigenständig durch Gefäße und Herz zum Einsatzort navigieren kann. Das von lernfähigen Algorithmen gesteuerte Gerät orientiert sich dabei durch eine Kombination aus Tast- und Sehsinn. In ersten Tests bewegte sich die Katheterspitze erfolgreich durch schlagende, blutgefüllte Schweineherzen bis zu einer defekten Herzklappe, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Robotics“ berichten.
Roboter und künstliche Intelligenz halten auch in der Medizin zunehmend Einzug. Sie helfen Chirurgen bei der passgenauen Platzierung von Implantaten und Kunstgelenken, verleihen ihnen mittels Augmented Reality Durchblick im Operationsgebiet oder unterstützen Mediziner bei der Diagnose und Therapiefindung. In Zukunft könnten winzige Polymer-Roboter Arzneien direkt ans Zielorgan bringen und Nanobots Wirkstoffe durch das Auge an die Netzhaut transportieren.
Roboterkatheter findet sein Ziel selbst
Ein weiteres Einsatzgebiet der Robotik im OP haben nun Georgios Fagogenis vom Boston Children’s Hospital und sein Team demonstriert. Sie haben einen Herzkatheter entwickelt, der selbstständig zum Einsatzort navigieren kann – dem schlagenden Herzen. Im Herzen angelangt, sucht und findet die Katheterspitze eigenständig das zuvor programmierte Ziel. Im aktuellen Test war dies eine leckende künstliche Herzklappe im Herzen eines Schweins.
Möglich wird dies durch eine lernfähige, mit Algorithmen verknüpfte Sensortechnik, die vom Verhalten nachtaktiver Tiere inspiriert ist. Ähnlich wie Nagetiere im Dunkeln ihre Tasthaare oder Insekten ihre Antennen zu Hilfe nehmen, um ihre Umgebung abzutasten, nutzt der robotische Katheter eine Kombination aus Tast- und Sehsinn für seine Navigation durch die Gefäße und das Herzinnere.
Immer an der Wand lang
Die Spitze des Katheters folgt dabei den Gefäßwänden und berührt diese in regelmäßigen Intervallen. „Die Algorithmen helfen dem Katheter herauszufinden, welches Gewebe er gerade berührt, ob es im Herzen ist und welche Bewegung er als nächstes ausführen sollte, um seinem Ziel näher zu kommen“, erklärt Fagogenis‘ Kollege Pierre Dupont. Eine Kamera liefert dabei Bilder dessen, was die Katheterspitze gerade berührt. Drucksensoren ermitteln gleichzeitig die Anpresstärke und verhindern so, dass der Katheter eine Gefäßwand durchstößt.
Der große Vorteil: Ähnlich wie ein Autopilot im Flugzeug den Piloten Routineaufgaben abnimmt und ihm so hilft, seine Energie für die anspruchsvollen Abschnitte des Fluges zu sparen, tut dies der Roboterkatheter für den Herzchirurgen: „Er erlaubt es dem Chirurgen, sich auf die entscheidenden Aspekte der Operation zu konzentrieren“, erklären die Forscher. Zudem könnte der robotische Helfer weniger erfahrenen Ärzten die Durchführung einer solchen Operation erleichtern.
Durchs Schweineherz zur kaputten Herzklappe
Der erste Test der Technik erfolgte am Herzen von Schweinen. Die Wissenschaftler hatten dafür eine Aortenklappe gegen eine künstliche Herzklappe ersetzt, die an drei Stellen leicht leckte – ein in der Humanmedizin häufig vorkommendes Problem. Aufgabe des Roboterkatheters war es nun, selbstständig von der Herzspitze durch die linke Herzkammer zur defekten Herzklappe zu navigieren. Zum Vergleich ließen die Forscher die gleiche Prozedur durch erfahrene Chirurgen manuell und mit einem per Joystick kontrollierten Katheter durchführen.
Das Ergebnis: Der Roboterkatheter schaffte es in 89 von 90 Tests, durch das schlagende Herz zu navigieren und die leckende Herzklappe anzusteuern. Dabei war er sogar schneller als der mittels Joystick vom Chirurgen kontrollierte Katheter, aber etwas langsamer als der manuell geführte Katheter. „Das ist ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er sich dabei im blutgefüllten, schlagenden Herzen bewegt und ein nur Millimeter kleineres Zeil erreichen muss“, sagt Dupont.
Auch in anderen Organen einsetzbar
Nach Ansicht der Forscher könnte solche robotischen Katheter künftig nicht nur bei Herzoperationen hilfreich sein, sondern auch in anderen Bereichen des Körpers. „Die wandfolgende autonome Navigation lässt sich auf viele minimalinvasive Prozeduren ausweiten, beispielweise in Gefäßen, Atemwegen, dem Verdauungstrakt oder dem Gefäßsystem des Gehirns“, erklären Fagogenis und seine Kollegen.
Bei solchen Operationen könnte der Roboter zunächst die Aufgabe übernehmen, das endoskopische Operationswerkzeug an den Einsatzort zu bringen, wo dann der Chirurg übernimmt. In fernerer Zukunft könnten solche lernfähigen Roboter aber auch einfache Eingriffe komplett durchführen, so die Forscher. (Science Robotics, 2019; doi: 10.1126/scirobotics.aaw1977)
Quelle: Boston Children’s Hospital