Neue Spur: Zumindest ein Teil der Schizophrenie-Fälle könnte auf eine Autoimmun-Reaktion zurückgehen. Denn Forschende haben bei Patienten einen Auto-Antikörper entdeckt, der ein wichtiges Synapsenprotein angreift. Als sie diesen Antikörper gesunden Mäusen injizierten, entwickelten diese für die Schizophrenie typische Verhaltens-Auffälligkeiten und auch ihre Synapsenfunktion war gestört, wie das Team berichtet.
Schizophrenie manifestiert sich meist im jungen Erwachsenenalter und kann dann Halluzinationen, Paranoia und Störungen der Wahrnehmung und Persönlichkeit auslösen. Doch ihre Ursachen sind noch weitgehend unklar. Zwar haben Wissenschaftler erst kürzlich neue Risikogene für die Erkrankung identifiziert und auch eine der Ursprungsregionen im Gehirn lokalisiert. Die große Spannbreite der Symptome und Genetik legt aber nahe, dass die Schizophrenie auf mehrere verschiedenen Auslösemechanismen zurückgeht.
Fahndung nach Autoimmun-Reaktion
Einen dieser Mechanismen könnten nun Hiroki Shiwaku von der Medizinischen Universität Tokio und seine Kollegen identifiziert haben. Für ihre Studie hatten sie bei Schizophrenie-Patienten nach Hinweisen auf eine Autoimmun-Reaktion gesucht. Anstoß dafür gab die Beobachtung, dass Mutationen in der für den immunologisch wichtigen MHC-Region des Erbguts ein besonders hohes Schizophrenie-Risiko mit sich bringen.
Zudem sind bereits einige Auto-Antikörper bekannt, die wichtige Moleküle der Synapsenmembran angreifen – der Kontaktstelle zwischen den Nervenzellen. „Einige der für diese Moleküle spezifischen Auto-Antikörper verursachen psychotische Symptome bei Patienten mit Gehirnentzündung“, erklären Shiwaku und sein Team. Sie haben daher Blutserum und Rückenmarksflüssigkeit von 232 Schizophrenie-Patienten mit zwei verschiedenen Methoden auf Synapsen-assoziierte Auto-Antikörper hin analysiert.
Antikörper-Attacke auf Synapsen-Molekül
Tatsächlich wurden die Forschenden fündig: Sie identifizierten bei einigen ihrer Patienten einen Auto-Antikörper, der das Synapsen-Molekül NCAM1 angreift. Dieses Molekül bindet an die Synapsenmembran und spielt eine wichtige Rolle für das Wachstum und die Funktion dieser Nervenkontaktstellen. Der Auto-Antikörper stört die Produktion und Freisetzung des NCAM1.
Wie das Team berichtet, wurden bei einigen Schizophrenie-Patienten schon früher abnormal niedrige Konzentrationen dieses Moleküls beobachtet. „Wir haben diese Auto-Antikörper allerdings nur bei zwölf unserer Schizophrenie-Patienten gefunden, das deutet darauf hin, dass sie nur bei einer Untergruppe der Schizophrenie-Fälle die Auslöser sind“, sagt Shiwaku.
Antikörper-Injektion ruft Schizophrenie bei Mäusen hervor
Um herauszufinden, ob die Auto-Antikörper tatsächlich Schizophrenie auslösen könne, injizierten die Forschenden die aus dem Serum der Patienten isolierten Antikörper gesunden, jungen Mäusen. „Die Ergebnisse waren beeindruckend“, berichtet Seniorautor Hidehiko Takahashi. „Schon nach kurzer Zeit zeigten die Mäuse Veränderungen in ihrem Verhalten und in den Synapsen, die denen bei Menschen mit Schizophrenie ähnelten.“
Unter dem Einfluss der Auto-Antikörper zeigten die Mäuse Lernstörungen und fanden ihren Weg schlechter in einem Y-Labyrinth, zudem hatten sie veränderte Angstreaktionen. Im frontalen Cortex ihres Gehirns entwickelten die Neuronen weniger Synapsen und dendritische Fortsätze. „Eine solche Reduktion wurde auch bei Patienten mit Schizophrenie beobachtet“, schreiben die Forschenden.
Weitere Forschung nötig
Nach Ansicht der Wissenschaftler sprechen diese Ergebnisse dafür, dass Störungen des Synapsenmoleküls NCAM1 durch Auto-Antikörper oder Genvarianten zumindest bei einigen Schizophrenie-Patienten hinter der Erkrankung stecken könnten. Nun seien weiteren Studien nötig, um diesen Zusammenhang zu überprüfen und näher zu erforschen.
Sollte sich dies bestätigen, dann könnte dies neuen Behandlungsoptionen für die bisher nicht heilbare und oft schwer behandelbare Schizophrenie eröffnen. Das Team vermutet zudem, dass es noch weitere unerkannte Auto-Antikörper gibt, die bei der Psychose die Synapsenmoleküle angreifen. (Cell Reports Medicine, 2022; doi: 10.1016/j.xcrm.2022.100597)
Quelle: Tokyo Medical and Dental University (TMDU)