Auf dem Sprung zum Menschen: Auch in Europa droht die Gefahr neuer Viren aus dem Tierreich – unter anderem durch die Schweinehaltung. Bei Stichproben aus 2.500 Schweinställen in Europa haben Forscher neue Varianten von Influenza-Viren nachgewiesen, von denen einige erste Anpassungen an einen Artsprung zum Menschen besitzen. Die Forscher bescheinigen einigen dieser Viren bereits ein präpandemisches Potenzial.
Ob Vögel, Fledermäuse oder Schweine: Tiere sind eine der Hauptquellen neuer Erreger und Epidemien – davon zeugen die aktuelle Corona-Pandemie, aber auch Ebola, die „Schweinegrippe“ von 2009 oder weitere Influenza-Varianten. Gefährlich wird es immer dann, wenn ein Erreger in seinem tierischen Wirt Gene mit anderen Virenstämmen austauscht und dadurch Eigenschaften entwickelt, die ihm einen Befall menschlicher Zellen und damit den Artsprung zum Menschen ermöglichen.
Neue Influenza-Varianten in europäischen Schweinen
Bislang galten vor allem Asien und Afrika als Hotspot der Zoonosen – der neu vom Tier auf den Menschen überspringenden Infektionskrankheiten. Doch wie nun Forscher unter Leitung von Timm Clemens Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald belegen, gibt es auch in Europa Reservoire potenziell pandemischer Viren. Für ihre Studie hatten die Forscher mehr als 18.000 Einzelproben aus rund 2.500 schweinehaltenden Betrieben in Europa auf Influenzaviren hin untersucht.
Das Ergebnis: In mehr als der Hälfte der untersuchten Betriebe wiesen die Forscher bei den Schweinen anhaltende Infektionen mit bis zu vier Stämmen von Schweine-Influenzaviren nach. Durch Vermischung dieser Linien und den Austausch mit dem humanen Influenzavirus A(H1N1)/2009 – dem Erreger der „Schweinegrippe“ – sind in den Schweinen mehr als 31 Virenvarianten mit neuartigen Genkombinationen entstanden, wie Harder und sein Team berichten.
Erste Barrieren zur Übertragung auf den Menschen überwunden
Die neu in den Schweinen nachgewiesenen Influenza-Varianten weisen zwölf zuvor noch nicht beobachtete Kombinationen der Oberflächenproteine Neuraminidase und Hämagglutinin auf. „Die Konsequenzen dieser Rekombinationen für die Virulenz und das Wirtsspektrum sind weitgehend unbekannt“, sagen die Wissenschaftler.
Nähere Analysen ergaben, dass einige dieser Schweine-Influenzaviren bereits eine Immunität gegen das antivirale Protein MxA erworben haben – einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Immunabwehr. „Einige der Schweine-Influenza-Viren haben damit bereits eine wichtige Barriere für die Übertragung auf den Menschen überwunden. Das erhöht das Risiko deutlich“, sagt Koautor Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg.
„Zoonotisches und präpandemisches Potenzial“
Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass Schweine eine wichtige Rolle bei der Entstehung neuer Typen von Influenzaviren spielen. Weil sich in ihnen Grippeviren von Menschen, Schwein und Vogel begegnen und rekombinieren können, fördern sie die Bildung neuer Stämme und Varianten. Die aktuelle Studie belegt nun, dass dies auch bei in Europa gehaltenen Schweinen der Fall ist.
„Die europäischen Schweinepopulationen repräsentieren demnach Reservoire für neu auftretende Influenza-Linien mit zoonotischem und möglicherweise auch präpandemischem Potenzial“, konstatieren Harder und sein Team. (Cell Host and Microbe, 2020; doi: 10.1016/j.chom.2020.07.006)
Quelle: Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit