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Medizin

Sehen ungeborene Babys mehr als gedacht?

Zellen im sich entwickelnden Auge reagieren erstaunlich empfindlich auf Licht

Fötus
Der Sehsinn entwickelt sich beim Fötus vergleichsweise spät. © Janulla/ iStock.com

Überraschend sensibel: Trotz noch geschlossener Augen könnte der Fötus im Mutterleib mehr sehen als gedacht. Denn bestimmte Zellen in der sich entwickelnden Netzhaut registrieren nicht nur, ob Licht da ist oder nicht. Sie nehmen sogar schon unterschiedliche Lichtintensitäten wahr und sind komplex miteinander vernetzt, wie Experimente mit Mäusebabys nahelegen. Damit könnten diese Zellen eine wichtigere Rolle für die Entwicklung von Auge und Gehirn spielen als bislang angenommen.

Was bekommen ungeborene Babys im Mutterleib von der Außenwelt mit? Tatsächlich erstaunlich viel: Wie Mediziner inzwischen wissen, entwickeln sich vor allem der Geschmack und das Gehör des Fötus schon sehr früh. Etwa ab dem sechsten Monat beginnt dann auch der Sehsinn des Ungeborenen aktiv zu werden. Zwar sind seine Augen zu diesem Zeitpunkt noch geschlossen, doch durch die Lider hindurch nimmt der Fötus bereits Licht wahr.

Verantwortlich für diese Fähigkeit sind bestimmte Ganglienzellen in der sich entwickelnden Netzhaut. Diese lichtempfindlichen Zellen stehen mit unterschiedlichen Bereichen des Gehirns in Verbindung und fungieren beim Fötus wie An-Aus-Schalter: Sie können anzeigen, ob Licht einfällt oder nicht. Auf diese Weise helfen sie zum Beispiel dabei, beim Ungeborenen einen Tag-Nacht-Rhythmus zu etablieren.

Sehen mit geschlossenen Augen

In letzter Zeit mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass diese Ganglienzellen mehr Informationen über den Lichteinfall registrieren als angenommen und möglicherweise sogar untereinander kommunizieren. Um mehr darüber herauszufinden, haben Franklin Caval-Holme und Marla Feller von der University of California in Berkeley nun die sechs bekannten Subtypen dieser Zellen bei neugeborenen Mäusen untersucht. Die Nager sind kurz nach der Geburt noch fast blind und ihre Augen geschlossen – ähnlich wie beim Fötus nach dem zweiten Trimester.

Bei ihren Experimenten stellten die Wissenschaftler Erstaunliches fest: Tatsächlich scheinen die lichtempfindlichen Ganglienzellen in der Retina ein regelrechtes Netzwerk zu bilden. Die Zellen verfügen demnach über eine elektrische Verbindung, sie kommunizieren über sogenannte Gap Junctions miteinander.

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Überraschend komplex

„Wir dachten bisher, dass die Ganglienzellen im sich entwickelnden Auge zwar mit dem Gehirn verbunden sind, aber noch nicht mit dem Rest der Retina“, erklärt Feller. „Nun zeigt sich: Sie sind miteinander und auch mit anderen Zellarten verbunden – das war ein überraschender Fund.“ Noch spannender aber: Wie die Forscher herausfanden, reagiert dieses Zellnetzwerk spezifischer auf Licht als erwartet. Es registriert offenbar auch die Lichtintensität und kann sich daran anpassen. Je stärker die Verbindung der Zellen über die Gap Junctions war, desto lichtempfindlicher waren sie dabei in vielen Fällen.

Was bedeutet diese Erkenntnis nun? Zum einen zeichnet sich damit ab, dass neugeborene Mäuse – und möglicherweise auch Föten im Mutterleib – mehr sehen als bislang angenommen. Weil die Ganglienzellen im unreifen Auge unerwartet komplex auf Lichtreize reagieren, könnten sie außerdem eine größere Rolle für die Entwicklung von Auge und Gehirn spielen, wie die Wissenschaftler betonen.

„Vermitteln mehr als gedacht“

„Studien haben gezeigt, dass die lichtempfindlichen Ganglienzellen wichtig für Dinge wie die Entwicklung von Blutgefäßen in der Retina und die Etablierung der circadianen Rhythmik sind. Doch das sind ‚Licht-an-Licht-aus-Reaktionen‘, für die entweder Licht oder kein Licht nötig ist“, sagt Feller. Dass die Zellen auch auf die Intensität des Lichts reagieren, könne bedeuten, dass sie für weitere Prozesse von Bedeutung sind: „Diese Zellen vermitteln womöglich mehr Informationen als gedacht.“

Weitere Untersuchungen müssen die Funktionsweise der Ganglienzellen im unreifen Auge in Zukunft näher beleuchten – und klären, ob diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragbar sind. Grundsätzlich gilt der Sehsinn als Nachzügler bei der Sinnesentwicklung. Er reift erst weiter aus, wenn sich die Augen des Kindes in der 26. Schwangerschaftswoche öffnen. Doch selbst nach der Geburt ist ein Säugling zunächst noch extrem kurzsichtig, sieht die Welt um sich herum nur unscharf und erkennt keine Farben. (Current Biology, 2019; doi: 10.1016/j.cub.2019.10.025)

Quelle: University of California Berkeley

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