Überraschende Unterschiede: Manche Kinder schmecken Zucker erst ab drei Löffeln pro Tasse, andere brauchen nur einen winzigen Bruchteil davon. Dieser Unterschied spielt auch beim Zuckerkonsum eine Rolle – doch überraschenderweise genau anders herum als angenommen: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass besonders zuckerempfindliche Kinder mehr Zucker essen und eher zu Übergewicht neigen. Ebenfalls überraschend: Ein Bitter-Rezeptor scheint dafür mitverantwortlich zu sein.
Plätzchen und Schokolade verdeutlichen besonders in der Weihnachtszeit die Vorliebe für Süßes. Besonders bei Kindern ist das Naschen beliebt. Doch der in den Süßwaren enthaltene Zucker führt leicht zu Übergewicht und schadet dem Stoffwechsel. Wie stark der Hang zum zuckerigen Naschwerk ist, ist teilweise erblich. Außerdem reagiert bei manchen Kindern das Belohnungszentrum im Gehirn stärker, wenn sie Zucker schmecken – so fällt es ihnen schwerer, darauf zu verzichten, und sie leiden noch schneller an den Folgen.
Mehr Zucker wegen hohem Geschmacks-Schwellenwert?
Ein weiterer Faktor, der bestimmt, wie empfänglich Kinder für Zucker sind, könnte in der unterschiedlichen Wahrnehmung liegen. Verschiedene Geschmackssinne sind bei einzelnen Menschen bekanntermaßen unterschiedlich stark ausgeprägt. Kinder, die Zucker weniger stark schmecken, könnten daher für denselben süßen Geschmack mehr Zucker benötigen und daher eher zu Übergewicht neigen, so die Vermutung von Wissenschaftlern um Danielle Reed vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia.
Um diese Annahme zu überprüfen, bestimmten die Forscher zunächst bei 216 Kindern im Alter von sieben bis vierzehn Jahren, wie gut sie Saccharose, also gängigen Haushaltszucker, schmecken konnten. Die jungen Probanden erhielten jeweils Zuckerlösungen unterschiedlicher Konzentration und destilliertes Wasser und sollten angeben, welche Flüssigkeit süß schmeckte. Die niedrigste Zucker-Konzentration, die die Kinder noch schmecken konnten, bezeichneten die Forscher als den Schwellenwert für den Zuckergeschmack.
Überraschendes Ergebnis widerspricht der Annahme
Dieser Schwellenwert schwankte von Kind zu Kind um mehrere Größenordnungen: Das Kind mit dem feinsten Geschmackssinn erkannte in einer Tasse Wasser noch eine Menge Zucker, die einem Zweihundertstel-Teelöffel entsprach. Das am wenigsten zuckerempfindliche Kind benötigte dagegen drei Teelöffel, um den Zucker zu schmecken.
Mit biometrischen Methoden erfassten die Wissenschaftler auch das Körperfett der Kinder, um den Zusammenhang zwischen der Empfindlichkeit für Zucker und möglichem Übergewicht zu untersuchen. Dabei erlebten sie eine Überraschung: Es waren vor allem die Kinder mit einem besseren Geschmackssinn für Zucker, die zu Übergewicht neigten. Dies stand der ursprünglichen Annahme genau entgegen.
Um diesem Ergebnis und auch den großen Unterschieden bei der Zucker-Wahrnehmung auf den Grund zu gehen, analysierten die Forscher außerdem das Erbgut von 168 ihrer Probanden. Dabei untersuchten sie besonders zwei Gene, die auch bei Erwachsenen für Unterschiede beim Zuckerschmecken verantwortlich sind. Zusätzlich verglichen sie auch ein Gen für einen Bitter-Rezeptor.
Überraschender Zusammenhang mit Bitter-Rezeptor
Das überraschende Ergebnis: Die bekanntermaßen für den süßen Geschmackssinn verantwortlichen Gene hatten praktisch keinen Einfluss auf die unterschiedliche Zucker-Empfindlichkeit der Kinder. Der Bitter-Rezeptor dagegen schon: Die Kinder, die aufgrund ihrer Gene einen besonders empfindlichen Bitter-Rezeptor haben, schmeckten auch die kleinsten Zuckermengen. Gleichzeitig waren dies auch die Kinder, die mit ihrer Nahrung am meisten zusätzlichen Zucker zu sich nahmen und die im Schnitt am ehesten zu Übergewicht neigten.
„Wir waren von dem Fund überrascht, dass Empfindlichkeit für süßen Geschmack und Zuckerkonsum mit einem Bitter-Rezeptor zusammenhängen“, sagt Erstautorin Reed. „Dies wird uns dazu bringen, unsere getrennten Kategorien von Geschmacksgenen in Frage zu stellen und zu erforschen, ob Saccharose und andere Zucker auch Bitter-Rezeptoren direkt aktivieren können.“ Dies könnte in Zukunft auch zu besserer Diät- und Ernährungsberatung beitragen, bei Kindern wie auch bei Erwachsenen. (Nursing Research, 2015)
(Monell Chemical Senses Center, Philadelphia, 15.12.2015 – AKR)