Buchstäblich wirkungsvoll: Forscher haben Textilfasern entwickelt, die Medikamente passend dosiert an den Körper abgeben. Ihr „smartes“ Material wird als Pflaster oder in Form eines Kleidungsstücks auf die Haut gebracht und reagiert auf chemische oder manuelle Reize mit der Freisetzung integrierter Wirkstoffe – zum Beispiel Antibiotika oder Schmerzmittel. In Zukunft könnten diese Medizinfasern unter anderem bei der Therapie von Hautwunden helfen, wie das Team berichtet.
Ob Jacke, Hose oder Rock: Textilien können heute weitaus mehr als uns lediglich zu kleiden. „Smarte“ Klamotten reinigen sich selbst, reagieren auf Temperaturwechsel oder fungieren gar als Medizinprodukt – zum Beispiel, indem sie die Atmung und den Blutdruck ihres Trägers überwachen. Doch damit nicht genug: Künftig können solche Textilien potenzielle Gesundheitsprobleme nicht nur erkennen, sondern womöglich auch behandeln.
Denn Wissenschaftler um René Rossi von der schweizerischen Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und seine Kollegen forschen derzeit an neuartigen Fasern, die Medikamente abgeben. Ihre sogenannten Self-care-Materialien bestehen aus Polymeren, in die beispielsweise Antibiotika oder Schmerzmittel integriert werden.
Dosierte Freisetzung
In Form eines Pflasters, Verbands oder Kleidungsstücks könnten diese Polymerfasern etwa bei der Versorgung von Hautwunden helfen, wie die Forscher berichten. Eine präzise Dosierung wird dabei durch eine besondere Eigenschaft der Textilien sichergestellt: Sie sind unter bestimmten Bedingungen biologisch abbaubar.
„Als Antwort auf einen Reiz aus dem Körper sollen die Fasern ihre Medikamente entsprechend einer kalkulierten Abbaurate an die Umgebung abgeben“, berichtet Rossi. Dies könne etwa der veränderte pH-Wert einer Hautwunde sein, der anzeigt, dass die Gewebeschäden behandelt werden müssen. Neben chemischen Reizen lassen sich dem Wissenschaftler zufolge aber auch von außen gesetzte Signale als Auslöser für die Wirkstofffreisetzung nutzen – leichter Druck oder Lichtreize zum Beispiel.
Funktioniert auch umgekehrt
In Zukunft sollen die Medizinfasern Pflegepersonal entlasten und zu einer besseren Lebensqualität von Patienten beitragen. Dabei eignen sie sich jedoch nicht nur als Medikamente zum Anziehen: Wie das Forscherteam berichtet, ist ihr neuartiges System durchaus auch in die umgekehrte Richtung nutzbar. Denn wo Wirkstoffe abgegeben werden, können auch Substanzen in die Fasern eindringen.
„Das Funktionsprinzip lässt sich in der Gegenrichtung nutzen, indem die Fasern als Sensoren wirken und beispielsweise den Zuckerwert im Blut messen“, erklärt Rossi. Bei Frühgeborenen etwa droht der Zuckerhaushalt besonders häufig aus dem Gleichgewicht zu geraten – mithilfe solcher Sensoren könnte der Blutzucker durch die zarte Haut hindurch schmerzfrei überwacht werden, ohne dass die Babys unter einer piksenden Blutentnahme leiden müssten.
„Der Einsatz der Self-care-Fasern ist für enorm viele Anwendungen denkbar“, konstatiert Rossi. Er und sein Team werden in den kommenden Jahren an der Weiterentwicklung der Medizinfasern arbeiten und haben bereits eine Vielzahl von Unternehmen als Industriepartner gewonnen.
(Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa, 15.10.2018 – DAL)