Ansatzstelle für Gegenmittel: Forscher haben erstmals die Struktur des Bindungsproteins entschlüsselt, mit dem das neue Coronavirus an menschliche Zellen andockt. Die atomgenaue 3D-Struktur sowie Experimente enthüllen, dass dieses Spike-Protein zwar dem der SARS und MERS-Erreger sehr ähnelt, aber anders reagiert. Dieses Wissen könnte nun die Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Mitteln gegen SARS-CoV-2 erleichtern.
Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 hat nicht nur den Artsprung vom Tier zum Menschen geschafft, es kann auch relativ leicht von Mensch zu Mensch überspringen. Mediziner schätzen, dass das Virus in etwa so ansteckend ist wie die Grippe. Weil der Erreger zudem nicht immer Symptome verursacht und auch schon in der Inkubationszeit übertragbar ist, ist die Eindämmung der Epidemie erschwert. Forscher weltweit arbeiten daher mit Hochdruck daran, Impfstoffe und antivirale Mittel gegen das Virus zu finden.
Andock-Protein im Visier
Wichtiger Ansatzpunkt für solche Gegenmittel ist ein bestimmtes Oberflächenprotein des Coronavirus. Mit ihm dockt es an einen Rezeptor auf den menschlichen Zellen an und kann so in sie eindringen. „Das Spike-Glycoprotein der Coronaviren ist ein Schlüsselziel für die dringend benötigten Impfstoffe, therapeutischen Antikörper und Diagnostika“, erklären Daniel Wrapp von der University of Texas in Austin und seine Kollegen.
Damit das Andocken funktioniert, verändert das Coronavirus die Konformation seines Spike-Proteins. Es klappt auf und bringt sich so in eine für den Zellrezeptor passende Form. Das Problem jedoch: Diese Konformation ist instabil und lässt sich daher nicht ohne weiteres abbilden oder strukturell analysieren. Um dies zu umgehen, fügten die Forscher in die genetische Bauanleitung für dieses Virenprotein eine Mutation ein, die eine Aminosäure austauscht. Durch diese Änderung wird das Spike-Protein stabiler.
„Wir wussten genau, welche Mutationen wir einsetzen mussten, weil wir dies schon bei einer Reihe anderer Coronaviren ausprobiert hatten“, erklärt Seniorautor Jason McLellan von der University of Texas. Dies ermöglichte es, das Spike-Protein von SARS-CoV-2 mittels Cryo-Elektronenmikroskopie abzubilden.
Bindungsfreudiger als SARS
Die Aufnahmen zeigen den für die Bindung an die Zelle wichtigen Teils des Proteins dreidimensional und mit atomgenauer Auflösung – und dies sowohl in der inaktiven als auch in der bindefähigen aktiven Konformation. Die 3D-Struktur enthüllt, dass sich dieses Protein äußerlich kaum von denen der eng verwandten SARS– und MERS-Erreger unterscheidet. „Wir konnten auch beobachten, wie die Spike-Untereinheiten die Aufklapp-Bewegung durchführten“, berichten die Forscher. „Dies deutet darauf hin, dass es den gleichen Auslösemechanismus besitzt wie andere Coronaviren.“
Der entscheidende Unterschied jedoch: Das neue Coronavirus ist offenbar besser an die menschliche Zelle angepasst als seine Vorgänger. „Überraschenderweise bindet ACE2-Rezeptor mit zehn- bis 20-fach höherer Affinität an die Spike-Bindestelle des neuen Coronavirus als bei SARS-CoV“, so die Forscher. „Das könnte erklären, warum sich dieses Virus so leicht von Mensch zu Mensch verbreitet.“
Alte Gegenmittel wirken nicht
Und noch etwas ist beim neuen Coronavirus anders: Ergänzende Experimente enthüllten, dass sein Spike-Protein nicht auf bereits existierende Antikörper gegen die beiden verwandten Virenarten SARS-CoV und Mers-CoV reagiert. „In Tests mit drei monoklonalen Antikörpern gegen Sars konnte keine Bindung an das Spike-Protein von Sars-CoV-2 detektiert werden“, berichten die Forscher. Der Versuch, die für die SARS-Epidemie hergestellten Gegenmittel auch gegen das neue Coronavirus einzusetzen, seien daher wahrscheinlich wenig sinnvoll.
Umso wichtiger sind die neuen Erkenntnisse: „Die Kenntnis der atomgenauen Struktur des Spike-Proteins kann nun das Design von Impfstoffen und antiviralen Mitteln präziser machen und die Entwicklung von medizinischen Gegenmaßnahmen erleichtern“, so das Fazit von Wrapp und seine Kollegen. (Science, doi: )
Quelle: University of Texas at Austin